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Falsche Nähe

Falsche Nähe

Titel: Falsche Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Audrey hält sich stur aus allem raus. Nicht bloß, wenn es um Noa geht, auch sonst tritt sie aus freien Stücken unzählige Kompetenzen an Arne ab, überlässt ihm beispielsweise die Wahl des Restaurants, wenn sie Essen gehen wollen. Sobald er müde wird, folgt sie ihm ins Bett, anstatt sich zum Arbeiten an ihren Schreibtisch zurückzuziehen, und wenn sie fernsehen, ist er automatisch der Alleinherrscher über die Fernbedienung, zappt wie ein Idiot durch die Programme.
    Noa ist nicht die Einzige, die Schwierigkeiten mit den neuen Begebenheiten hat. Auch Frank Schwertfeger, Audreys Agent, macht keinen Hehl daraus, wie sehr er die alte Audrey vermisst, und er lässt keine Gelegenheit aus, Arne in ein schlechtes Licht zu rücken. Sein Credo: Der Kerl sei zu allererst auf Audreys Vermögen aus. Sein Planungs- und Architekturbüro – Arne ist einer von drei geschäftsführenden Partnern – habe sich mit einigen Großprojekten auf St. Pauli übernommen, außerdem gäbe es Probleme mit säumigen Kunden. Von den ursprünglich mehr als zwanzig Angestellten hätten sieben bereits entlassen werden müssen. Im Wintergarten spitzt Noa die Ohren.
    »Und du denkst, das weiß ich nicht?«, sagt Audrey.
    Frank ist enttäuscht: »Er hat es dir erzählt?«
    »Natürlich. Mach dir um seine Firma keine Gedanken. Sie haben genug andere Projekte, die hervorragend laufen. Aber selbst wenn es anders wäre, deswegen würde ich doch nicht aufhören, Arne zu lieben.«
    »Vielleicht hättest du gar nicht erst damit anfangen sollen«, stößt Frank hervor, worauf Noa am liebsten Beifall klatschen würde. Sie klappt ihr Notebook zu und stiehlt sich an die beiden heran. Sie sitzen am Esstisch, vor ihnen ausgebreitet eine Flut von Papieren. Verträge für ein neues Buch, wie Noa vermutet. Hoffentlich ein Lindberg-Krimi.
    »Ehrlich, Audrey, du bist überhaupt nicht mehr wiederzuerkennen. Du fehlst mir.«
    »Mir auch«, echot Noa aus der Deckung heraus, erleichtert, es endlich laut auszusprechen, wenngleich nur als Echo. Dieser ganze Abnabelungsquatsch funktioniert bei ihr nicht. Durch den Tod ihrer Eltern sind Audrey und sie fester aneinandergeschmiedet, als es unter Schwestern sonst üblich sein mag.
    »Ach, hallo Noa. Wie geht es dir?«
    »Könnte besser sein.«
    Er steht kurz auf, um ihr die Hand zu schütteln, ein fester, warmer Händedruck. Franks Finger sind kurz und dick und geben bei Bedarf eine kräftige Faust ab. Er gilt als Verhandlungspartner der alten Schule, ein kultivierter, leicht arrogant wirkender Fünfzigjähriger aus gutem Hause, der, um Verwirrung zu stiften, gern vulgäre Ausdrücke einstreut und zwischendurch auch mal auf den Tisch haut. Nur Audrey fasst er mit Samthandschuhen an.
    »Ich kapier überhaupt nicht, was ihr alle von mir wollt«, verteidigt sie sich gerade.
    »Nur dein Bestes«, erwidert Frank, in seinem Blick ein Anflug von Zärtlichkeit.
    »Als ob ihr beiden Verschwörer das beurteilen könntet.«
    Noa muss an den Tag denken, als sie das erste Mal über Arne sprachen, Audrey im Flugzeug: ihre verstrubbelten Haare, ihr glückliches Gesicht. Und dann: Audrey, die die Weinflasche ins Panoramafenster schleudert.
    Es ist in der Tat nicht leicht zu beurteilen, was das Beste für jemand anderen ist. Schon für sich selbst misslingt es leider allzu oft.
    Die Schlafcouch wird geliefert, ein unauffälliges Möbelstück in schlichtem, skandinavischem Design, auf jeden Fall ein Gewinn, verglichen mit dem Chesterfield-Sessel. Moritz kann kommen und über Nacht bleiben. Wie gewünscht gibt es Bettkästen für seine Sachen. Er muss sie nur noch einsortieren, doch anscheinend hat sein Vater vergessen, ihm Bescheid zu sagen. Der Seesack steht unberührt in der Ecke und erregt in zunehmendem Maße Noas Neugier.
    Am Wochenende wartet sie gespannt. Von Moritz keine Spur. Eine Enttäuschung, wo er sich doch angeblich so penibel an die althergebrachte Zwei-Wochen-Regelung hält. Noa hat Mühe, sein Fernbleiben nicht auf sich zu beziehen. Manchmal ruft sie sich abends im Bett ihre Unterhaltung ins Gedächtnis. Er sagte, er mag sie, daran gibt es nichts zu rütteln, er sagte es beiläufig, aber unmissverständlich. Jedoch beinahe im gleichen Atemzug behauptete er, schüchtern zu sein, und so, wie sie ihn an der Bratwurstbude hat stehen sehen oder wie er sich an ihrem Frühstückstisch unaufgefordert ein Marmeladenbrötchen genehmigte, vermutet sie, dass das bloß Gerede war. Schlimmstenfalls macht er sich lustig über sie. Was dann?

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