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Falsche Nähe

Falsche Nähe

Titel: Falsche Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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müsste sie das Mischverhältnis einigermaßen hinbekommen. Es wäre schlauer gewesen, die Lösung in der Schule unter echten Laborbedingungen herzustellen, doch dafür ist es nun zu spät. Sie arbeitet mit zusammengekniffenen Augen und kann nicht verhindern, dass ihre Zungenspitze jede Bewegung nachvollzieht, wie damals, als Audrey ihr das Schreiben beibrachte. Das war im Sommer vor der Einschulung. Audrey wollte immer, dass Noa es leichter hat als andere Kinder. Meistens gelang es ihr.
    Schneller, als Noa lieb ist, steht alles bereit, die Lösung fertig angemischt und in die Sprühflasche verfrachtet. Ihrer inneren Anspannung zum Trotz läuft es wie am Schnürchen. Sie hält inne, schaut auf eine Armada weißer Wolken, die draußen über das stählerne Himmelsblau segelt, angestrahlt von der tief stehenden Sonne, sodass es aussieht, als leuchteten sie. Pancake thront inzwischen in arroganter Haltung auf dem Balkongeländer, schlägt mit dem Schwanz und beobachtet sie durch die Scheibe. Als er ihren Blick bemerkt, beginnt er zu miauen.
    »Verrat mich nicht.« Noa knipst die Schreibtischlampe an, bevor sie den Knopf für die Außenjalousie betätigt und dem Kater die Sicht raubt. Sie hält sich nur an das Protokoll. Es muss finster sein, damit der Versuch funktioniert. Einer Eingebung folgend, sprüht sie nicht die Verschmutzung am Griff, sondern das ganze Schwert ein, die gebogene Klinge, den hölzernen, schwarz lackierten Schaft. Dann löscht sie das Licht. Der schmale Raum hüllt sich in vollkommene Dunkelheit. Noa schiebt die Sonnenbrille nach oben. Nur da, wo das Schwert liegt, die Umrisse zeichnen sich kaum wahrnehmbar ab, sind unzählige, bläuliche Flecken entstanden, wie winzige Geister schweben sie in der Luft. Rückstände von Blut. Das Eisen, welches in dieser Form nur im Hämoglobin, dem roten Blutfarbstoff, vorhanden ist, hat mit der Luminol-Lösung reagiert. Sie ist ein heimliches Chemie-Ass, wenn das ihre Lehrerin wüsste. Bloß: Wie erwartet, weiß Noa von da an nicht weiter.
    Einstweilen ist blaue Lumineszenz alles, was zählt.
    Bis das Licht angeht und Audrey in der Tür steht und ihren Namen ruft.
    Noa fährt zusammen.
    »Was machst du hier?«, will Audrey wissen, ihre Stimme klingt völlig entgeistert.
    Am liebsten würde Noa die gleiche Frage stellen. Was hat Audrey gerade jetzt in ihrem Arbeitszimmer zu suchen, anstatt wie angekündigt stundenlang mit dem Motorrad durch die Gegend zu brausen? Davon kann sie doch sonst nichts in der Welt abbringen. Was für ein Pech. Noa macht sich nichts vor: Sie ist diejenige, die Rede und Antwort stehen muss. Um eine glaubwürdige Ausrede verlegen, sagt sie die Wahrheit, schonungslos und in aller Ausführlichkeit.
    Audreys einzige Reaktion: »Wie konntest du in Moritz’ Sachen rumwühlen?«
    »Ich war neugierig. Das macht man nicht, ich weiß, aber so war’s halt. Audrey, hast du eigentlich gehört, was ich gesagt habe? Das Schwert ist voller Blutspuren.«
    »Und wenn schon. Vielleicht hat er sich mal daran geschnitten. Es ist schließlich höllisch scharf. Und Luminol – das da in der Flasche ist ja wohl Luminol? – zeigt auch kleinste Rückstände an. Da muss das Blut nicht gleich literweise geflossen sein, wie du es dir vermutlich ausmalst.«
    »Wusstest du von der Waffe?«
    »Klar. In seinem alten Zimmer in Eppendorf hing das Schwert an der Wand. Arne hat es ihm geschenkt. Moritz interessiert sich für asiatischen Kampfsport, früher ging er sogar zum Karate. Das hat er mir mal erzählt.«
    »Da kämpft man aber nur mit den Händen. Für so ein Teil braucht man eigentlich einen Waffenschein.«
    »Noa.« Audrey baut sich wie ein Racheengel vor ihr auf. »Ich habe bemerkt, was du neulich getan hast, ich bin keine Idiotin. Mein Computer ist mir heilig, daran hast du ohne meine Einwilligung nichts zu suchen, und das weißt du auch. Ich habe nur nichts gesagt, weil ich hoffte, du würdest inzwischen eigenständig zur Vernunft kommen. Aber das war wohl nichts. Hör zu, ich kann mir so ungefähr vorstellen, was neulich in deinem Kopf vorgegangen ist, als dieser Mord passierte, und ich will lieber gar nicht erst darüber nachdenken, was sich in deiner verkorksten Traumwelt jetzt schon wieder zusammengebraut hat. Das ist krank, Noa. Echt krank. Seit wir aus Mallorca zurück sind und erst recht seit Arne hier eingezogen ist, benimmst du dich, als hättest du vollkommen die Bodenhaftung verloren. Du glaubst, ich hätte mich verändert. Guck dich mal an.«
    Noa

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