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Falsche Nähe

Falsche Nähe

Titel: Falsche Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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kannte, quasi nur der Stimme wegen, ihm zuliebe auf eine Insel gereist ist, obwohl sie Inseln doch so sehr verabscheut. Dass sie so übergangslos bereit war, mit ihm zusammenzuziehen, auch das ein Verstoß gegen ihre Gewohnheiten, ihre gesamte Lebensphilosophie. Dass sie ihre Gefühle für diesen auf den ersten Blick so unscheinbaren Mann weitgehend vor Noa abschottet, als sei es vorher falsch gewesen, alles mit ihr zu teilen.
    Sicher, Noa ist ebenfalls auf Distanz gegangen, wiederum eine reine Gegenmaßnahme. Der ganze Mist, in dem sie stecken, lässt sie trotz des heißen Wassers frösteln: Es ist wie ein Fluch, und Noa ist überzeugt, sie hat ihn nicht allein heraufbeschworen.
    »Der Fluch des Samum«, flüstert sie mit Unheil verkündender Theatralik, muss aber zugleich über sich schmunzeln. Sie weiß sehr wohl, dass der Wüstensturm nicht wirklich etwas mit ihren Problemen zu tun haben kann, dennoch markiert er den Anfang dieser rätselhaften Entwicklung. Die Großwetterlage, die seine Ausläufer vom Mittelmeer kreuz und quer über den Kontinent bis hinauf zu ihnen nach Hamburg wirbeln ließ, passt einfach ins Gesamtbild: Die Dinge laufen irgendwie aus dem Ruder.
    Ist es denn wirklich paranoid, sich zu wundern, wenn in der Stadt eine alte Frau genau auf die Weise umgebracht wird, die Audrey in ihrem Romanentwurf schildert? In derselben Straße, nicht zu vergessen. Und wenn wenig später in ihrer eigenen Wohnung eine Waffe auftaucht, die der Mordwaffe aus dem Buch exakt gleicht? Eine Waffe mit Blutspuren. So viele Zufälle. Da müssen einem doch die Nackenhaare zu Berge stehen. Gleichzeitig ist allein der Gedanke an einen Zusammenhang ungeheuerlich.
    Noa greift sich ihr Handy aus der Ablage, um das Internet nach Neuigkeiten über den Mord an der Blumenverkäuferin zu durchforsten. Anscheinend gibt es noch keine heiße Spur. Die Theorie vom brutalen Ende einer Schutzgelderpressung hält sich mangels Alternativen hartnäckig.
    Ihre eigene, vage Hypothese lautet anders: Mit Arne stimmt etwas Grundlegendes nicht. Zwar durchschaut sie weder seine Motive noch seine Ziele, aber im Gegensatz zu ihrer Schwester hält sie ihn keineswegs für die Seriosität in Person. Schon jetzt besitzt er viel zu viel Macht über Audrey – und sie merkt es nicht einmal. Sein Geheimnis könnte in dem Geschick liegen, ihrer beider Leben den eigenen Stempel aufzudrücken, Kontrolle auszuüben: sein Lächeln als Maske. Wann wird es Noa gelingen dahinterzuschauen? Unwillkürlich fällt ihr Blick auf den Bademantel am Haken. Nachdem sie aus der Wanne gestiegen ist, benutzt sie ihn, um den Fußboden trocken zu wischen, und kickt das nasse Bündel danach in die hinterste Ecke, gleich neben die Kloschüssel.
    »Du musst mit Noa reden.«
    »Das werde ich auch. Ich will bloß den richtigen Zeitpunkt abwarten.«
    »Und wenn der nicht kommt, jedenfalls nicht so, wie du ihn dir erhoffst? Ihr könnt nicht ewig so weitermachen. Sie hat doch längst eine Ahnung, dass etwas nicht stimmt. Und im Moment gibt sie mir daran die Schuld.«
    Im Flur, hinter der geschlossenen Schlafzimmertür, nickt Noa beifällig. »Weil du schuld bist, du Mistkerl«, flüstert sie, gerade leise genug, um unentdeckt zu bleiben.
    »Das ist doch nur vorübergehend«, sagt Audrey, die Stimme so gedämpft, dass Noa ihr Ohr fest an die Tür pressen muss. »Kannst du dich nicht noch eine Weile damit abfinden, bis ich mich gefangen habe?«
    »Das tue ich ja. Ich finde mich mit ihrer Verachtung ab und mit der Tatsache, dass sie meine Klamotten als Fußabtreter benutzt. Womit ich mich nicht länger abfinde, ist dieses Schweigen zwischen euch. Das geht so nicht.«
    »Ich bin aber noch nicht so weit. Was, wenn sie beginnt, mich zu hassen?«
    »Wie könnte sie? Noa vergöttert dich.«
    »Noch.«
    Schweigen. Noa hört das Rascheln des Federbetts, er ahnt den Austausch von Zärtlichkeiten. Ein leises Zischen: Kohlensäure, die aus einer Sprudelflasche entweicht.
    »Es war deine Idee zusammenzuziehen«, sagt Audrey. »Ich wusste, es ist zu früh.«
    »Du warst kurz davor durchzudrehen. Weißt du das nicht mehr?«
    »Ich brauchte jemanden, der mich festhält.«
    »Und das kann ich nun mal am besten tun, wenn ich immer an deiner Seite bin. Ich liebe es, mit dir zusammen einzuschlafen und morgens neben dir aufzuwachen. Aber, wenn du das nicht mehr willst, wenn es dir zu schnell geht oder zu viel wird, kann ich gehen. Jederzeit.«
    Ja, denkt Noa.
    »Nein«, sagt Audrey.
    »Rede mit Noa«,

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