Falsche Opfer: Kriminalroman
Sag statt dessen, dass ich mich irre. Widersprich mir.«
»Du irrst dich.«
»Danke. Warum irre ich mich?«
»Du hast keinen krankenhausmäßigen Mundgeruch.«
»Warum irre ich mich?«
»Weil er so lange in unseren Gedanken gewesen ist. Weil er so komisch reagierte auf das mit Orpheus. Weil er im rappelvollen Kvarnen saß und Ovids Metamorphosen las. Weil gesagt wurde, dass er nur so tat, als läse er. Weil er alles sah, obwohl er las, bloß nicht die Gang, die ihm am nächsten saß und englisch direkt in seine Ohren redete. Weil er einer von drei Zeugen ist, die wir trotz aller Anstrengungen nicht haben auftreiben können. Weil das junge Pärchen nicht nur eine von Ovids Metamorphosen verwendet, sondern zwei, wenn sie miteinander in Kontakt treten. Orpheus und Eurydice und Philemon und Baucis.«
»Das ist eine Menge.«
»Per Karlsson. Es kann ja die Ermittlung nicht entscheidend verändern, aber wir sollten ihn vielleicht im Hinterkopf behalten.«
»Das meine ich auch. Was ist denn dann passiert? Der arbeitslose Per Karlsson, zwanzig Jahre und ohne Ausbildung, belauscht drei Exjugoslaven und einen ›Polizisten‹, die einen Treffpunkt vereinbaren. Ist es Zufall, dass er dort sitzt? Hört er es nur zufällig – oder ist er dort, um sie zu belauschen. Woher weiß er dann, dass diese Gangster sich dort befinden? Er und seine Liebste benutzen Mobiltelefone mit Internetanschluss, die Rajko Nedics Restaurant Tartaros gehören, was ja das Totenreich ist. Etwas fehlt. Natürlich kann Per Karlsson vorübergehend – und schwarz, also nicht registriert – als Kellner oder Tellerwäscher im Tartaros gearbeitet haben, aber das ist nicht richtig stichhaltig. Zwei hochmoderne Mobiltelefone plus Information, dass das Treffen im Kvarnen stattfindet. Das deutet auf eine wirkliche Nähe zu Rajko Nedic hin, zu einem Mann, der niemanden an sich heranlässt.«
»Obwohl es ein Zufall sein kann. Er sitzt wirklich im Kvarnen, um zu lesen. Dann hört er das Gespräch mit, und es macht klick bei ihm. Er tut also so, als läse er, und zu uns sagt er nichts vom Nachbartisch. Denn er sieht ein Geschenk des Himmels vor sich. Eine Anzahl Millionen als Geschenk für einen arbeitslosen armen Schlucker. Das ist auch durchaus möglich.«
»Aber dann machen die beiden sich auf den Weg, jeder in eine andere Richtung, um nach dem Bankfach zu suchen. Warum gerade dahin? Warum gerade nach Dalarna und Västmanland, beziehungsweise Hailand und Västergötland? Sie können ja nicht ganz Schweden durchsuchen. Spricht das nicht doch für eine Art intimeren Wissens über Nedic?«
»Vielleicht. Aber das muss ja hinter Niklas Lindberg zurückstehen. Per Karlsson machte ja keinen direkt gemeingefährlichen Eindruck. Außerdem müssen sie ja jetzt aus dem Spiel sein.«
»Ganz sicher. Scheiße, jetzt fängt es wieder an, sich zu drehen.«
Hjelm stand auf und starrte sie an. Sie sah ihn sich drehen. Er sah so hilflos aus, wie Besucher im Krankenhaus es immer tun.
»Lass gut sein«, sagte Kerstin Holm und ließ es sich weiterdrehen.
42
D urch das Einfahrtstor konnte man das Paradies erkennen. Doch die Mauern waren hoch und wurden von einem bewaffneten Cherubim bewacht.
Der im vorliegenden Fall aus einer Überwachungskamera, einem Türtelefon und einer metallisch klingenden Stimme bestand, die sagte: »Name und Anliegen.«
Sie räusperte sich und warf einen Blick auf die vier hartgesottenen Polizeiassistenten in ihrem Schlepptau. Alle starrten in die Kamera. Es war wie eine Talentsuche im Fernsehen. »Kriminalinspektorin Sara Svenhagen, Reichskriminalpolizei. Wir möchten mit Rajko Nedic sprechen.«
»Herr Nedic ist zur Zeit nicht anwesend«, sagte die Metallstimme.
»Dann möchten wir mit jemand anderem sprechen. Ist ein Verantwortlicher im Hause?«
Es war still. Dann glitt das Tor zum Paradies auf. Der märchenhafte Garten schien keine einzige Farbnuance auszulassen, und der strahlende Sonnenschein verstärkte die Farben noch. Sara Svenhagen fühlte sich fast geblendet von der Farbenpracht und fast betäubt von dem vielfältigen Duft. Es war wirklich phantastisch. Ein Garten Eden.
Ein gutgekleideter kleiner Mann um die Fünfzig kam ihnen auf dem Gartenweg entgegen. Er streckte Sara die Hand hin.
Sie nahm sie und schüttelte sie.
»Ich heiße Ljubomir Protic«, sagte er in nicht ganz akzentfreiem Schwedisch. »Ich arbeite für Herrn Nedic. Womit kann ich dienen?«
»Ist er nicht zu Hause?« fragte Sara Svenhagen.
»Leider nicht«, sagte
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