Falsche Opfer: Kriminalroman
Drogenhändler Rajko Nedic, der nie von der Polizei geschnappt worden ist, der Polizei Geld? Ist das der Grund, warum er nie geschnappt worden ist? Und so weiter. Wir brauchen folgendes. Erstens: mehr Information über den rätselhaften Sprengstoff; zweitens: die Identitäten von 2C, 2E und 2F; drittens: den eventuellen Polizisten; viertens: eine Erklärung, warum Nedic der schwedischen Polizei Geld zahlt (falls es so ist). Wenn euch noch etwas einfällt, sagt es mir schnell. Also dann. Wir hören nicht eher auf, als bis der Mittsommerabend in Nacht übergeht. Keine Blumen unterm Kissen. Kein selbstgewürzter Kräuterschnaps, keine Mittsommerkinder werden gemacht. Nur Arbeit, Arbeit, Arbeit.«
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N ur Arbeit, Arbeit, Arbeit. Wenn auch von zu Hause aus. Sie blickte auf die Surbrunnsgata hinaus. Nie war ihr ihre kleine Ecke der Welt so verlassen vorgekommen. Das Mittsommerwetter war unentschlossen, mal Wein, mal Wasser, und zeitweise ziemlich viel Wasser. Und sie surfte. Allerdings im Cyberspace. Sie surfte im Internet.
Und gerade jetzt schüttete es nur so vor ihrem Fenster. Einer dieser prachtvollen kleinen Schauer. Kurz, intensiv, vorübergehend.
Sara Svenhagen hatte die Feiertagsangst fast vergessen. Die die Selbstmordrate gerade an jenen Tagen in die Höhe treibt, an denen das Pflegepersonal Feiertagszuschlag erhält. Dieser berüchtigte Klumpen in der Herzgegend. Der einem sagt: Du bist wirklich einsam, richtig einsam.
Niemand will dich.
Sie wusste nicht, dass sie diese Angst hätte spüren müssen. Sie war es, die niemanden haben wollte, nicht umgekehrt, doch die Feiertagsangst machte da keinen Unterschied. Sie bis sich fest. Sie sagte einem unwillkommene Wahrheiten.
In den Fenstern auf der anderen Straßenseite wurde kein Licht angeknipst. Auf dem Bürgersteig ging kein Mensch vorbei. Den ganzen Tag lang startete kein Wagenmotor. Die Stadt war verödet. Ausnahmsweise würde einmal nicht Stockholm an der Spitze der Gewaltstatistik stehen. Es fehlten ganz einfach die Gewalttäter, ebenso wie die potentiellen Opfer.
Sie waren auf dem Land.
Sie hätte im Haus ihrer Eltern auf Tyresö Mittsommer feiern können. Die Familie wäre jedoch nicht vollzählig gewesen. Es gab nämlich einen Trost im Ungemach. Sie wusste, dass auch ihr Vater nichts als Arbeit, Arbeit und noch einmal Arbeit hatte. Der Unterschied war der, dass der Chef der Spurensicherung Brynolf Svenhagen im siebenten Himmel war. Zwei großartige Nüsse zu knacken. Zuerst die Explosion in Kumla. Dann die Sicklaschlacht. Sie sah es vor sich, wie der strenge graue Mann gleichsam koloriert wurde und karnevalistischen Glanz bekam. Ein Mann in farbenfrohem Baströckchen und mit lila Troddeln, die an den Brustwarzen baumelten. Sie lächelte. Der Klumpen verschwand.
Sie blickte sich in ihrer kleinen Wohnung um. Eigentlich gar nicht so schlecht. Ihre inneren Räume.
Sie kehrte an den Computer zurück.
Seit neunzehn Uhr, sechsunddreißig Minuten und sieben Sekunden am Donnerstag, dem vierundzwanzigsten Juni, hatte sie sich nur den einen und anderen Minischlaf erlaubt. Das war achtzehn Stunden her. Da hatte sie die Adressenliste von der seltsamen, flüchtigen Internetseite abgespeichert.
Es war tatsächlich eine Adressenliste. Eine Adressenliste für Pädophile. Ein Netzwerk, das sich zwar größtenteils mit bereits bekannten Netzwerken zu berühren schien, aber dennoch eine ganz neue Liste. Keine Namen, natürlich, keine richtigen realen Adressen, aber gleichwohl eine ganze Serie von E-Mail-Adressen, darunter mehrere, auf die sie zuvor noch nicht gestoßen war. Und sie hatte sie alle im Kopf. Tatsache war, dass ihr Kopf voll davon war, vielleicht übervoll, vielleicht auf dem besten Weg, zu platzen.
Die Augenblicke von Minischlaf waren sofort von dem grauenhaften Traum okkupiert worden. Der selbstleuchtende Bauch, der Schatten, das Glied, das durch sie hindurch und zu dem Kind vordrang. Sie war überzeugt davon, dass der Traum ihr etwas zu sagen versuchte. Etwas Lebenswichtiges. Aber sie verstand nicht, was. Sie fühlte nur die Angst, als sie im Todesaugenblick erwachte. Sie fand, dass der Traum viel zu aufdringlich war, um eine Botschaft zum Ausdruck zu bringen. Die Botschaft ertrank in Grauen.
Jedermann kann völlig anonym eine E-Mail-Adresse im Internet beschaffen. Hotmail, Microsofts eigener Server, war der Favorit. Es gab Millionen von Adressen, die mit @hot- mail.com endeten. Das Reservoir war unerschöpflich. Aber – man hinterließ Spuren,
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