Falsche Opfer: Kriminalroman
mittelmäßigen Sportler in Aktion zu sehen. Es roch nach dem Club für gegenseitige Bewunderung. Falls man nicht einen Freund oder Verwandten unter den Teilnehmern hatte, konnte es nicht viel interessanter sein, als bei einem Fußballspiel der sechsten Liga zuzuschauen.
Doch das war eine Geschmacksfrage.
Es gab andere Probleme, und das waren keine Geschmacksfragen.
In den letzten Tagen hatten die Medien etwas an die Öffentlichkeit gebracht, was intern alle schon wussten: dass die Finanzen ein einziges Chaos waren. Die finanziell Verantwortlichen für die World Police and Fire Games hatten der Stadt Stockholm die haarsträubendsten Jubelkalkulationen präsentiert – und mit Hilfe schwer erklärbarer PR-Reisen an diverse Ferienorte das Budget weit über den Rand des Konkurses hinausgetrieben. Stockholms Steuerzahler waren gezwungen, mit großen Summen einzuspringen, damit die dreißigtausend ausländischen Besucher nicht lediglich zur Eröffnung des Konkursverfahrens der havarierten Veranstaltungsgesellschaft anreisten.
Und jetzt sollte es ein Fest geben. Ein PR-Fest für diese gloriose Veranstaltung. Während die Schlächter von Sickla noch auf freiem Fuß waren. Es war ein wenig bedrückend.
Hjelm betrachtete die Rückenansicht einer Kellnerin. Sie verschwand soeben durch die Tür des Vernehmungsraums, in dem alle Vernehmungen, die das Kvarnen betrafen, stattgefunden hatten. Sie war, wie es so schön hieß, das letzte Vernehmungsobjekt dieses Tages: die chinesische Kellnerin, die am dreiundzwanzigsten Juni im Restaurant Kvarnen Gang 1 und den ›Polizisten‹ bedient hatte. Sie konnten ihr keine Fotos von 1A und 1B zeigen – das eine Gesicht zersprengt, das andere von Kugeln durchsiebt –, aber 1C sollte sie sich ansehen. Sie hatten versucht, ihn lebendig aussehen zu lassen. Ohne großen Erfolg. Die Kellnerin schrie geschockt auf.
Als sie sich wieder gefasst hatte, nickte sie und flüsterte: »Doch. Ich glaube, der war dabei.«
Nach dem ›Polizisten‹ befragt, sagte sie: »An den erinnere ich mich nicht so gut. Verglichen mit den anderen war er ziemlich unansehnlich. Die anderen waren finstere Burschen, so viel kann ich sagen. Ich glaube, er hatte dunkle Haare, war nicht so alt, nicht über vierzig.«
Und jetzt war sie fort. Eine Rückenansicht, die schnell aus dem Bewusstsein verschwand.
Hjelm schaute Holm an. »Na, wollen wir einen auf Party, Party machen?« sagte er und fuchtelte albern mit den Armen herum.
Sie betrachtete ihn nachsichtig. »Polizeiolympiade«, sagte sie und zog die kleine schwarze Lederjacke über ihr schwarzes T-Shirt. Mit ihrem Tonfall war nicht zu spaßen.
»Denk positiv«, sagte Hjelm und zog sein lottriges Leinenjackett über. »Es soll freien Schnaps geben.«
»Und wie jedermann weiß, gehören Sport und Schnaps untrennbar zusammen.«
»Sport, Schnaps, Korruption, Doping, Sauerstoffzelt und Bingo.«
Sie gingen durchs Polizeipräsidium. In den letzten Tagen war es gespenstisch leer gewesen. Und öde. Das öde Haus. Von Gott und den Menschen vergessen. Eine Ruine von Caspar David Friedrich. Heute war ein wenig mehr Leben in der Bude. Doch nur ein wenig. Die erste echte Ferienwoche hatte angefangen.
Ferien, dachte Kerstin Holm. So etwas hatten andere.
Sie selbst hatte eben erst angefangen, sich wieder an Stockholm zu gewöhnen. Die Zeit in Göteborg war nicht so glücklich gewesen. Man hatte sie an ihren alten Polizeibezirk ausgeliehen, wo auch ihr Ex arbeitete. Ihr früherer Mann. Die Kälte zwischen den beiden hatte schließlich die ganze Polizeiwache mit Raureif überzogen, so dass sie gehen musste. Weiter. In einen Vorortbezirk. Angered. Viel Trubel und wenig Stimulanz. Sie schuf Ordnung unter Ganoven, die sie auslachten. Sie Oberklassen-Bullenhure nannten und ihr ähnliche Freundlichkeiten an den Kopf warfen. Sie kam nicht einmal auf die Idee, Kontakt mit ihrem alten Kirchenchor in Haga aufzunehmen. Sie war ja nur ausgeliehen. Jeden Augenblick konnte sie nach Stockholm zurückgerufen werden. Sie bekam ein Gefühl dafür, wie es den Sportprofis erging. Vom einen Tag auf den nächsten konnte man vom einen Ende des Kontinents zum anderen geworfen werden. Der Unterschied war – wieder einmal – das Gehalt. Für die richtige Anzahl von Millionen kann man sich vorstellen, auch ein wenig zu leiden. Jetzt war sie jedenfalls wieder zurück in Stockholm. Hatte eine Zweizimmerwohnung mitten in der City ergattert. In der Regeringsgata. Fühlte ihre Lebensgeister
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