Falsche Opfer: Kriminalroman
zurückkehren. Hatte angefangen, ein wenig waghalsig durch die Innenstadt zu joggen. Sang wieder im Kirchenchor. Kurz, sie hatte wieder Wasser unter dem Kiel. Aber PR-Fest bei der Reichspolizeibehörde? Naja. Wenn das nicht eher ans Kielschwein denken ließ. Oder, noch schlimmer, ans Kielholen.
Sie kamen zu den Zimmern der A-Gruppe. Hultin war weg, Söderstedt war weg, Norlander war weg, Nyberg war weg. Chavez war noch da. Er saß am Computer und hackte auf die Tastatur ein.
»Zehn nach«, sagte Hjelm und hackte seinerseits auf die Uhr ein. »Denk dran: ›mit dem Arsch zuerst‹.«
Chavez blickte auf wie aus einer anderen Welt. Er starrte sie mit leerem Blick an. Seine Augen sahen aus wie zwei Computerbildschirme.
»Die Gesundheit in Person«, sagte Kerstin Holm und lachte.
»Verflucht«, sagte Chavez verwirrt. »Wie viel Uhr ist es?«
»Soll das festliche Kleidung sein?« sagte Hjelm.
Chavez schaute an sich hinunter. Im Sommerhalbjahr trug er immer einen höchst unansehnlichen, ständig verknitterten Leinenanzug. Hjelm musste zugeben, dass er ihn nachgeäfft hatte, allerdings nur, was das Jackett betraf. Unten mussten Jeans oder Shorts reichen. Jetzt waren es Jeans.
Kurz: Keiner von ihnen war festlich gekleidet.
Während Kerstin immer richtig gekleidet war, darin waren die beiden Männer sich einig. Ein imponierendes Geschick, stets gut gekleidet auszusehen, egal, was sie anhatte. Im gleichen Moment fragten sich die beiden, ob es frauendiskriminierend war, so zu denken.
»Wobei warst du denn gerade?« fragte sie.
»Ja du«, sagte er, gab noch ein paar abschließende Befehle ein und zog sein Jackett über. »Ich war dabei, alles zu lesen, was es im Internet über die Sicklaschlacht gibt. Ich habe einen Chat gefunden, der sich ausschließlich mit der Sicklaschlacht befasst. Der Sickla-Chat.«
»Wie FASK?« fragte Hjelm.
»Ja, genau. Fans of American Serial Killers. Eine muntere Vereinigung.«
»Aha«, sagten Jalm & Halm und wechselten vielsagende Blicke.
Chavez betrachtete sie verwundert, während sie in den Gang hinaustraten. Sie waren so eingespielt, in ganz anderer Weise als er und Hjelm. Nicht wie zwei gutfunktionierende Polizisten etwas unterschiedlicher Generationen, sondern wie, ja, wie Yin und Yang.
»Doch«, sagte er. »Es gibt eine Diskussion über Sickla, im ganzen Lande. Und diese Diskussion ist nicht ganz frei von rassistischen Aspekten, soviel kann ich sagen. Ihr könnt morgen früh eine Abschrift des ganzen Chats bekommen, wenn ihr wollt. Sehr informativ.«
Er betrachtete sie verstohlen, während sie ihre Wanderung durch die labyrinthischen Gänge des Polizeipräsidiums fortsetzten. Er konnte nicht umhin, sich zu fragen, was wohl geschehen war, als sie zusammen in den USA waren. Sie waren einander auf eine Art und Weise nahe, die voraussetzt, dass Intimitäten vorgekommen sind. Und dann ging er weiter zurück in der Geschichte. Gab es nicht schon früher, während der Jagd auf den Machtmörder, eine Reihe übersehener Zeichen? Kleine, unmerkliche Berührungen? Vielsagende Blicke? Insgeheim angedeutete Fürsorge? In der Mauer, die er so sorgfältig zwischen seinem professionellen und seinem privaten Leben errichtet zu haben glaubte – auf der einen Seite die Arbeit, auf der anderen Seite die Musik, der Jazz, der Bass, und die Frauen –, offenbarte sich ein Riss. Als er Hjelm und Holm bei ihrem entspannten Zwiegespräch auf dem Weg durch die Gänge beobachtete, dachte er zu seiner eigenen Verwunderung: Vielleicht verpasst man etwas Wesentliches als Polizist, wenn man seine Privatsphäre nicht einbezieht? Vielleicht sind all die kleinen Einverständnisse und Fürsorglichkeiten und vorausschauenden Bemühungen, die man einsetzt, um eine Liebesbeziehung zu entwickeln und zusammenzuhalten, tatsächlich nötig, um ein wirklich guter Polizist zu werden? Auch wenn er es sich nicht gern eingestand, war Paul Hjelm immer noch sein Vorbild als Polizist. Wie Paul und Kerstin dieses Spielchen zwischen Gang 1 und Gang 2 im Kvarnen herausgetüftelt hatten, wie sie gleichsam improvisierend aus dem Hintergrundrauschen eine Form geschaffen hatten – wäre das anderen möglich gewesen als gerade diesen beiden? Wäre es Jorge Chavez und Paul Hjelm möglich gewesen? Oder baute die ganze Arbeit mit dieser unfertigen Ahnung auf der Geduld und der Sanftmut der Liebesbeziehung auf? Allerdings war ihm die Mühsal der festen Beziehung ziemlich unbekannt; er verließ sich noch immer auf die ungezwungenere
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