Falsche Opfer: Kriminalroman
Brust.
Es war ein phantastisches Gefühl.
Ein Gefühl. Ein gemeinsames Gefühl.
Ein enormer Hohlraum im Dasein war ausgefüllt worden.
Er erwachte von Sonnenstrahlen. Der Natur ureigenstem Wecker. Obwohl sie bei näherer Betrachtung nicht ganz natürlich waren. Sie wurden auf ihn gerichtet. Mit Hilfe einer Drehung an der Jalousie.
Sie zeichnete sich als fabelhafte Kontur gegen die schrägstehenden Sonnenstrahlen ab. Wie in einen Wasserfall von Licht gehüllt. Er streckte ihr die Arme entgegen. Sie kam nicht näher. Sie stand ganz still da, vom Licht umströmt. Gänzlich unerreichbar.
Jaha, dachte er. Ein Alptraum.
»Ich habe etwas, was du dir ansehen musst«, sagte sie.
Jaha, dachte er. Kein Alptraum. Ein Alltagstraum. Ein Traum vom Glück, das alltäglich geworden ist. Das war vielleicht doch ein bisschen früh.
»Komm schon«, sagte sie.
Offenbar nicht, dachte er. Offenbar nicht zu früh.
Er stand auf und akzeptierte, dass er nun schon wach war. Er trat zu ihr, durch den Wasserfall von Licht. Sie trug ein großes T-Shirt, das ihr bis über die Hüften reichte. Er selbst war nackt. Er tastete nach ihrem Körper.
»Zieh dir was an«, sagte sie.
Er zog sich was an und folgte ihr hinaus auf die Toilette.
Für einen kurzen Moment befiel ihn Skepsis. Hatte er sie so falsch eingeschätzt? Was gab es auf der Toilette, was sie ihm mit solchem Eifer zeigen wollte? Einen positiven Schwangerschaftstest? Eine Zucht Totenköpfe? Schrumpfköpfe in Leinöl?
Nein, er war ungerecht. Er kam in eine Dunkelkammer. Eine schwache rote Lampe leuchtete statt der gewöhnlichen. An einer Wäscheleine unter der Decke waren mit Wäscheklammern Schwarzweißfotos befestigt. Ein noch unentwickeltes Papier schwamm in einer stinkenden Flüssigkeit. Sie schloss die Tür.
Alles sah neu aus. Die gesamte Ausrüstung wirkte nagelneu. Misslungene Abzüge lagen zerrissen in einem Haufen auf dem Fußboden. Wäre er nicht so müde und immer noch so glücklich gewesen, hätte der Detektiv in ihm vermutlich angefangen zu arbeiten. Er hätte gedacht: Hmmm, und dann hätte er gedacht: neue Ausrüstung, nicht vertraut mit Dunkelkammerarbeit – ist gleichbedeutend mit: irgendein Geheimauftrag.
Der schlummernde Detektiv in ihm wurde auf eine weitere Probe gestellt.
Sara Svenhagen sagte: »Vor ein paar Tagen habe ich einen Pädophilen festgenommen, der im Söder-Turm wohnt.«
Pause. Es wurde erwartet, dass er etwas sagte, Reaktion zeigte, wenn nicht mit einem Heureka, so doch zumindest mit einem Hmmm. Nein, der Detektiv schlief ruhig weiter.
Sie fuhr fort: »Söder-Turm ist Haglunds Latte.«
Nix. Der Detektiv in ihm war nicht zu sprechen.
»Haglunds Latte ragt über Medborgarplatsen auf.«
»Mach weiter«, sagte er nur.
»Der Mann hat sein ganzes Leben damit verbracht, Kinder auf Medborgarplatsen und in der Umgebung zu fotografieren. Und zwar täglich. Er hatte ein Einmachglas mit noch unentwickelten Filmen zu Hause. Ich habe sie entwickelt.«
»Und warum?«
»Werd mal wach jetzt, Jorge. Täglich. Medborgarplatsen. Es war nur eine Ahnung. Ich habe zwölf Filme entwickelt, und jetzt habe ich ihn gefunden.«
»Wie viel Uhr ist es?«
»Halb sieben. Ich arbeite seit halb fünf.«
»O verflucht. Ich bin also in meiner Eigenschaft als Polizist hergeholt worden?«
»Hör auf. Sieh mal hier oben.«
Er folgte ihrem Finger zu den Fotos unter der Decke. Skateboardfahrer auf Medborgarplatsen. Zwischen Restauranttischen und Parkbänken herumkurvend. In der unteren Ecke eine Serie kleiner digitaler Zeichen. 21.43 23.06.99.
Der Detektiv in ihm schreckte aus dem Schlaf auf. Einen Moment lang blickte er sich in der Dunkelheit um, ohne zu verstehen, wo er war. Dann sagte er: »Aha.«
»Das kann man wohl sagen«, meinte Sara Svenhagen.
»Bedeuten diese Ziffern, was ich glaube?«
»Es ist eine hochmoderne Kamera. Sie schreibt sie auf jedes Bild. Dreiundzwanzigster Juni, einundzwanzig Uhr dreiundvierzig.«
»Aber verflixt!«
Er folgte der Serie von Fotos an der Wäscheleine. Eins nach dem andern. Auf dem zweiten fuhren die Skateboarder weiter Richtung Björnscher Garten. Auf dem dritten befanden sie sich mitten auf der Götgata; über ihren Köpfen war ein ganzer Wald von Beinen in Bewegung zu erkennen. Auf dem vierten verschwanden die Skateboardfahrer hinter den Baumkronen hinunter zur Rampe im Björnschen Garten; statt dessen sah man den Anfang der Tjärhovsgata. Auf dem Bürgersteig herrschte Chaos. Im Zentrum ein Jüngling, der wild in Richtung
Weitere Kostenlose Bücher