Falsche Väter - Kriminalroman
die
Hütte gefahren bist. Weiß gar nicht, wer es war. Ich hatte ja keinen Kontakt zu
denen. Du wolltest das ja nicht. Warum hast du mich ferngehalten von Sachen,
die wichtig waren? Warum musstest du Geheimnisse vor mir haben? Wegen diesem
Mädchen? Oder wird da noch mehr kommen?
Theo! Ich hab Angst, weißt du das? Angst vor deinem Scheißtod, vor
dem, was in der Zeitung stehen wird, vor der Beerdigung und den Blicken der
Nachbarn. Ich habe Angst vor der Wahrheit und dem Leben ohne dich. Ich hab dich
nämlich geliebt, und ich liebe dich noch immer. Verdammt noch mal, das hast du
doch gewusst! Und trotzdem hast du mich belogen und betrogen! Ach Theo, warum
musstest du so dumm sein? Jetzt kannst du das nicht mehr in Ordnung bringen.
Nie mehr!
* * *
In den meisten Fällen begnügte sich Carsten Peters mit ein oder zwei
Schreibmaschinenblättern, um seine Notizen zu machen. Kam es dicker, kaufte er
eine Kladde. Weil er keine zur Hand hatte, nahm er ein Blatt Papier aus dem
Drucker. Um sechzehn Uhr sollte er zum Chef. Danach war eine Pressekonferenz
anberaumt, und Peters versuchte Ordnung in das Chaos seiner Gedanken zu
bringen.
»Was habe ich?«, schrieb er mit seiner ungelenken Altmännerschrift
auf das Blatt. Dann legte er den Stift wieder beiseite.
Inzwischen ist eindeutig nachgewiesen, dass Anna Lechtenberg
Geschlechtsverkehr mit Theo Grossmann hatte, was allerdings noch lange nicht
heißt, dass sie tatsächlich vergewaltigt wurde. Es gibt keine Spuren von
Gewaltanwendung, keine blauen Flecken an den Oberarmen. Nichts. Mein Gefühl
sagt mir allerdings, dass sie es nicht war, und wenn mein Gefühl mich nicht
täuscht, wer war es dann? Wer wurde durch die Vorgänge in der Hütte am tiefsten
gekränkt oder verletzt? Wer wurde durch Grossmanns Tat zum Mörder gemacht? Oder
gibt es ein völlig anderes Mordmotiv?
Vielleicht hat die Kleine ja einen Freund, einen jungen Burschen,
der eifersüchtig war und ihr nachgeschlichen ist? (Wäre möglich. Nachforschen!
Habe ich blöderweise zu fragen vergessen.) Angeblich hat sie jemanden auf dem
Hochsitz gesehen. Aber hätte ihr Freund die Courage, sich dahin zu setzen? Der
wäre doch früher eingeschritten. Der hätte im Affekt möglicherweise sogar
geschossen. Aber im Nachhinein und vorsätzlich? Und dann noch die
Verstümmelungen. Die sind fachmännisch vorgenommen worden, wie mir Frau Norden
versichert hat. Von jemandem, der sich in Anatomie auskennt!
Angenommen, es gibt ihn nicht, diesen Freund. Wer kommt sonst in
Frage? Die Mutter, klar, aber die fällt allem Anschein nach aus. (Hat nach
Angaben der Krefelder Kollegen gar nicht richtig auf die Nachricht reagiert.
War betrunken. Arbeitslose Alkoholikerin, die wahrscheinlich von Papierkorb zu
Papierkorb torkelt. Sucht da bestimmt nicht nach der Wahrheit oder nach ihrer
Tochter. Kann ich vergessen.)
Was bleibt noch?, dachte Peters. Klar. Der Vater! Interessanter
Aspekt. Fühlt sich bestimmt beschissen an, wenn man es wissen oder mitkriegen
würde. Dass sich so ein Kerl über deine Tochter hermacht. Aber in der Urkunde
heißt es »Vater unbekannt«.
Und Grossmanns Frau? Sie hat zwar angegeben, nichts von der
Beziehung ihres Mannes zu Anna Lechtenberg gewusst zu haben, aber was ist, wenn
sie gelogen hat? Sie hätte ein Motiv. Aus Eifersucht geschehen die
unglaublichsten Dinge, aber kann sie eine bislang unbescholtene Frau dazu
bringen, ihren Mann zu erschießen und dann sein Geschlechtsteil zu verstümmeln?
Was habe ich sonst noch? Den Hüttenbesitzer. Johannes Winkens.
Bekanntes Gesicht. Politiker. Hat ein Alibi. Reicher Mann. Hat mit dem Geld
seines Vaters sein Glück gemacht. Äcker gekauft auf der Aldekerker Platte. Muss
gewusst haben, dass der Gemeinderat seinen Plänen zustimmen würde. Jetzt wird
da Kies gebaggert, jede Menge Kies. Muss sich keine Sorgen mehr machen und hat
eine blendend weiße Politikerweste. (Wusste sein Freund Theo Grossmann
vielleicht was? Irgendetwas, was der Karriere nicht zuträglich war?)
Die Liste mit den Namen der Leute, die regelmäßig die Hütte benutzt
haben, aus welchen Gründen auch immer, muss noch durchgecheckt werden.
Scheißfall. Hab kaum was in der Hand. Der Chef wird Wirbel machen.
Und erst die Pressefritzen. Scheißpresse. Weiß nicht, was ich denen erzählen
soll.
Außerdem muss ich unbedingt eine Maus besorgen. Heute oder morgen.
Für Anneliese. Na ja, die kann notfalls warten. Verhungert nicht so schnell.
Macht ihr nichts aus, zwischendurch Kohldampf zu
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