Falsche Väter - Kriminalroman
Ordner über »Lucky«. Moelderings hatte
alle Zeitungsartikel, in denen er erwähnt worden war, ausgeschnitten und
eingeklebt. Mareike sah sich die Bilder an. Der Reiter hatte auf dem Rücken
seines Lieblingspferdes wirklich eine gute Figur gemacht. Dann stieß sie auf
etwas ganz anderes.
»Warum sammelt jemand so ein Zeug?«, fragte sie Peters.
»Was denn?«
»Hier die Mappe. Sie stammt von Moelderings.«
»Und was ist da drin?«
»Zeitungsausschnitte. Alte Sachen. Liegen beinahe zwanzig Jahre
zurück. Es geht um einen Unfall mit Todesfolge. Ein Junge wurde in Düren
angefahren. Am 3. August 1993. Abends gegen halb zehn. Er hat den Unfall nicht
überlebt und ist auf der Straße verblutet. Der Täter hat Fahrerflucht
begangen.«
»So etwas sammelt man nur, wenn man etwas damit zu tun hat«, sagte
Peters. »Vielleicht war der Junge mit Moelderings verwandt.«
»Das müsste sich herausfinden lassen«, sagte Mareike.
»Oder Moelderings war zufällig Zeuge des Unfalls«, fuhr Peters fort.
»Dann hatte er jedenfalls einen triftigen Grund, das Zeug aufzubewahren. Damit
kann man jemanden erpressen. Man konnte es jedenfalls, denn inzwischen liegt
die Sache so weit zurück, dass sie längst verjährt ist.«
»Und wenn er damals der Fahrer war?«
»Wieso sollte er Zeug sammeln, das ihn belastet?«
»Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen«, sagte Mareike. Sie
blätterte weiter in den Zeitungsausschnitten. Die Presse hatte den Fall damals
ziemlich hochgekocht. Der Junge hätte gerettet werden können, wenn sofort Erste
Hilfe geleistet worden wäre. Angeblich waren sogar Leute weitergefahren, ohne
sich um den Schwerverletzten zu kümmern. Die zunehmende Verrohung wurde
angeprangert. Die Unmenschlichkeit einer Gesellschaft, in der sich jeder nur
noch für sich selbst verantwortlich fühlte und die Mitmenschlichkeit auf der
Strecke blieb. Mareike sah sich vornehmlich die Schlagzeilen an. Ganz hinten
stieß sie auf einen Briefumschlag. Sie öffnete ihn und zog ein Blatt heraus.
»Ich kriege euch alle!‹«, las sie laut vor. »›Verlasst euch drauf!«
»Was ist denn das jetzt schon wieder?«, fragte Peters.
»Das steht hier«, sagte Mareike. »Das ist ein Drohbrief an
Moelderings. Er ist sogar unterzeichnet.«
»Wiederhol noch mal!«, sagte Peters.
»Ich kriege euch alle! Verlasst euch drauf! Arnold Gehlen.«
»Dieser Gehlen hat den Plural benutzt«, sagte Peters. »Er will alle kriegen. Wenn Moelderings tatsächlich der Fahrer
war, dann war er nicht allein im Auto. Vielleicht hat ja Theo Grossmann neben
ihm gesessen.«
Mareike nahm den Briefumschlag aus der Mappe. Erst jetzt sah sie,
dass jemand eine Nummer auf die Rückseite gekritzelt hatte. Sie griff sofort
zum Telefon und stellte auf Lautsprecher.
»Gehlen.« Eine tiefe, männliche Stimme.
»Hier spricht Mareike Fichte von der Kripo Kleve.«
»Polizei?«, fragte die Stimme. Mareike fürchtete, dass der Mann
gleich wieder auflegen würde, aber er tat es nicht. »Was wollen Sie von mir?«
»Kennen Sie einen gewissen Hubert Moelderings?«
Mareike konnte hören, wie sich die Atmung des Mannes veränderte. Er
musste Moelderings kennen oder hatte wenigstens seinen Namen schon einmal
gehört. Daran bestand kein Zweifel.
»Ja«, sagte Gehlen. »Allerdings nicht persönlich. Warum fragen Sie
danach?«
»Herr Moelderings ist tot. Er wurde ermordet. Und wir haben in
seinen Unterlagen Ihre Nummer gefunden.«
»Das ist nicht meine Nummer«, sagte Gehlen.
»Sondern?«
»Ich bin hier bei meinem Vater.«
»Könnte ich ihn sprechen?«
»Nein. Das ist unmöglich.«
»Warum?«
»Er kann nicht mehr sprechen. Er kann so gut wie gar nichts mehr.«
»Das tut mir leid«, sagte Mareike. Sie schwieg einen Augenblick.
»Können Sie uns denn sagen, in welcher Verbindung Ihr Vater zu Herrn
Moelderings stand?«
»Nein. Das kann ich nicht!«
Es klickte in der Leitung. Gehlen hatte aufgelegt. Mareike versuchte
es noch ein paarmal, aber der Mann ging nicht mehr ans Telefon.
»Ich glaube, wir müssen dahin«, sagte Mareike. »Da stimmt was
nicht!«
* * *
Der Mann stand vor der Wand aus Glas und schaute in den Garten.
Irgendetwas störte ihn, aber noch wusste er nicht, was es war. Dann sah er, wie
vom Nachbargrundstück etwas in den Garten segelte. Es sah aus wie ein Schatten,
aber es war nur ein Blatt, das Blatt der großen Rotbuche, die im angrenzenden
Garten stand. Und jetzt sah der Mann auch, dass bereits mehrere Blätter in
seinem Garten gelandet waren.
Er
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