Falsche Väter - Kriminalroman
gemacht?«
»Ich?«, fragte Gehlen noch einmal. Er ließ sich auf einen Sessel
fallen und sah erst Mareike und dann Peters an. Sein Blick war leer und
nichtssagend.
»Herr Gehlen. Wo waren Sie in der Nacht zum letzten Freitag?«,
fragte Peters. »Und wo haben Sie sich Dienstagabend aufgehalten?«
»Hier. Ich bin meistens hier.«
»Kann das jemand bezeugen?«
»Mein Vater. Aber der fällt als Zeuge wohl aus.«
Mareike und Peters sahen sich an. Sie wussten, dass sie jetzt nicht
weiterkamen und das Gespräch sich nur im Kreis drehen würde. Sie
verabschiedeten sich von Heinz Gehlen und verließen das Haus. Peters trug die
Ordner. Er hatte ein Gefühl, als wäre er gerade aus dem Krankenhaus entlassen
worden.
»Was sagst du?«, fragte er.
»Ich weiß nicht«, sagte Mareike. »Rache ist ein starkes Motiv.«
»Wer aus Rache mordet, legt keine Spuren. Der quält seine Opfer
vielleicht, aber warum sollte er sie symbolhaft verstümmeln?«
»Wir sollten ihn dennoch überwachen lassen«, sagte Mareike.
»Jedenfalls die nächsten Tage.«
* * *
Am Montag war Theo Grossmanns Leiche offiziell freigegeben worden,
am Donnerstag konnte er endlich beerdigt werden. Van de Loo fuhr mit Anna hin,
weil sie trotz allem von ihrem Onkel Abschied nehmen wollte. Johanna hatte ihr
eine Entschuldigung für die Schule geschrieben.
»Wie lange kanntest du Theo Grossmann eigentlich?«, fragte van de
Loo.
»Onkel Theo? Den kenne ich, seit ich denken kann«, sagte Anna. »Als
Kind bin ich manchmal mit Mama zur Hütte gefahren. Wir wurden dann von einem
Taxi abgeholt, deshalb habe ich es nicht vergessen. In der Hütte waren vier
Onkel, das weiß ich auch noch. Aber an die Gesichter und Namen der anderen kann
ich mich nicht erinnern. Die habe ich ja später nie mehr gesehen. Nur Onkel
Theo hat mich regelmäßig besucht. Wir sind dann Eis essen oder shoppen
gegangen. Und in den letzten Jahren bin ich manchmal mit ihm in die Hütte
gefahren.«
»Hast du das der Polizei erzählt?«
»Keine Ahnung«, sagte Anna. »Ich habe nur die Fragen beantwortet,
die mir gestellt wurden. Ich mochte den Mann von der Kripo ja nicht. Und wenn
ich jemanden nicht mag, dann habe ich keine Lust, ihm etwas von mir zu
erzählen. Glaubst du eigentlich, dass es jemand aus der Familie war?«
»Aus der Familie?« Van de Loo wusste nicht sofort, wovon Anna
sprach.
»Es könnte doch sein, dass einer aus deiner Familie Sarah Rosenboom
verraten hat. Waren deine Eltern Nazis?«
»Nicht dass ich wüsste«, antwortete van de Loo verlegen. »Aber jede
Familie hat ihr Geheimnis. Ich wusste zum Beispiel nichts von dem, was Tante
Gertrud erzählt hat. Ich habe gedacht, sie wäre viel zu durcheinander, und habe
nie nach ihrer Vergangenheit gefragt. Aber du kannst dich darauf verlassen,
dass ich irgendwann herausfinden werde, was damals passiert ist.«
Es war eine überschaubare Gruppe von Trauergästen, die sich auf dem
kleinen Kesseler Friedhof eingefunden hatte. Das Glöckchen der Friedhofskapelle
bimmelte durchdringend, und van de Loo spürte bereits beim Betreten des
Friedhofs, dass etwas anders war als auf normalen Beerdigungen. Es hing eine
seltsame Spannung in der Luft, was vielleicht mit der Tatsache zusammenhing,
dass Theo Grossmann nicht nur Opfer, sondern auch Täter gewesen war. In der
Zeitung waren Andeutungen gemacht worden, und der Dorftratsch hatte bestimmt
den Rest besorgt.
Die Witwe stand dicht vor dem Grab. Sie trug einen schwarzen
Schleier, um ihr Gesicht zu verbergen, und hielt verschämt den Kopf gesenkt.
Ihre beiden halb erwachsenen Jungs standen mit unbewegter Miene links und
rechts neben ihr. Jeder von ihnen hatte einen Arm der Mutter genommen, um sie
zu stützen.
Hinter den Familienmitgliedern stand die engere Verwandtschaft. Van
de Loo fiel eine alte Frau auf, die ihren dünnen, gekrümmten Körper auf einen
Stock stützte. Die Verbitterung war ihr tief ins Gesicht geschrieben. Van de
Loo vermutete, dass es die Mutter von Theo Grossmann war. Sie sah immer wieder
mit finsterem Blick zu Monika Grossmann hinüber. Anscheinend machte sie
insgeheim ihre Schwiegertochter für den Tod ihres Sohnes verantwortlich, denn
ihr Blick vereinigte Vorwurf und Verachtung.
Dann kamen die Nachbarschaft, Freunde, Bekannte, und ganz am Rand
der Gesellschaft hielten sich ein paar Leute auf, die nicht richtig
dazuzugehören schienen. Van de Loo vermutete, dass es Grossmanns Angestellte
waren oder Vertreter von Firmen, mit denen er Geschäfte gemacht
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