Falsche Väter - Kriminalroman
kein
richtiger Mann bist. Allen, die danach gefragt haben, und auch denen, die es
gar nicht wissen wollten.«
Thomas Schelling sagte nichts. Winkens hatte ihn durch seine Lüge
kurzzeitig verunsichert. Aber seine Verwirrung hielt nicht lange an.
Augenblicke später hatte er sich wieder hinter die undurchdringlichen Mauern
seiner Gedankenwelt zurückgezogen und schien zu allem entschlossen. Winkens sah
aus den Augenwinkeln in Schellings versteinertes Gesicht und merkte, wie Angst
in ihm hochstieg. Er schaltete das Fernlicht an und blendete die
entgegenkommenden Fahrzeuge, um jemanden auf sich aufmerksam zu machen. Einige
Scheinwerfer blinkten auf, aber das half ihm nicht weiter. Wenn ihm nicht bald
etwas Besseres einfiel, fuhr er geradewegs in sein Unglück.
Reden, dachte er. Ich muss weiter mit ihm reden, ein neues Thema
finden, Zeit gewinnen und ihn zur Vernunft bringen. Sonst gerät alles außer
Kontrolle.
»Ich habe dich übrigens nicht auf die Liste der Hüttenbesucher
gesetzt«, sagte er.
»Und warum nicht?«
»Ich wollte nicht, dass die Polizei dich irgendwie behelligt.«
»Das war ein Fehler«, sagte Schelling. »Du hättest es der Polizei
sagen müssen. Die Beamten tun ihre Pflicht und sorgen dafür, dass Ordnung
herrscht und die Gesetze eingehalten werden. Die Polizei ist auf die Mithilfe
der Bevölkerung angewiesen. Aber du hältst dich nicht an die Spielregeln und
verschweigst wichtige Dinge. Du bist nicht ehrlich, Johannes, und das ist nicht
gut.«
»Ich wollte dir doch nur helfen«, sagte Winkens beschwichtigend.
»Helfen? Mir? Durch eine Lüge? Ich war mit euch in der Hütte. Das
ist eine Tatsache. Als ich ging, habe ich mir geschworen, nie wieder
zurückzukehren. Ich wollte nichts mehr mit euch zu tun haben, aber dann haben
sich ein paar Dinge geändert. Wie es aussieht, werde ich noch ein letztes Mal
hinfahren müssen.«
»Was hältst du davon, wenn …«
»Halt dein beschissenes Lügenmaul!«, fuhr Schelling dazwischen. Er
hatte eine Waffe in der Hand. Ein Messer mit einer langen Klinge. Winkens
fragte sich, wo das Ding so plötzlich hergekommen war. Direkt vor ihm zuckelte
der kleine Karren eines Gemüsehändlers über die Straße. »Alles Bio«, versprachen
die gelben Lettern auf dem welligen Blech.
Ich provoziere einen Unfall, dachte Winkens verzweifelt. Ich fahr
dem Kerl vor mir jetzt den Rest seines Biogemüses zu Brei. Der Fahrer wird
einen ziemlichen Spektakel machen. Leute werden da sein. Die Polizei wird
kommen …
»Mach keinen Scheiß«, sagte Schelling drohend. Er schien Gedanken
lesen zu können. »Wenn du jetzt irgendeinen Scheiß versuchst, bist du auf der
Stelle ein toter Mann!«
»Was soll ich denn tun, damit du Ruhe gibst?«, fragte Winkens. Seine
Stimme zitterte, und seine Hände waren schweißnass. »Willst du Geld?«
»Geld?« Schelling lachte. »Ich heiße nicht Hubert Moelderings. Ich
will kein Geld. Ich will Gerechtigkeit.«
»Und wie soll die aussehen?«
»Fahr zur Kiesgrube«, sagte Schelling. »Fahr zu deinem Goldacker,
den du dir damals so trickreich unter den Nagel gerissen hast. Dann sehen wir
weiter.«
Winkens gehorchte. Er überholte den Wagen des Gemüsehändlers und war
froh, dass er dem Kerl nicht draufgefahren war. Es war ein Dreirad. Der
Bio-Wagen hätte dem Mercedes viel zu wenig Widerstand geboten.
»Schließ auf«, befahl Schelling, als sie vor dem großen Eingangstor
der Kiesgrube standen. Die Nachtbeleuchtung war eingeschaltet. Im Hintergrund
waren die riesigen Förderbänder zu erkennen, die über das Baggerloch ragten.
Zwei große Schaufellader standen neben ein paar Containern. Überall lagen
pyramidenhafte Haufen aus Kies und Sand herum.
»Ich habe keinen Schlüssel«, sagte Winkens.
»Du lügst«, sagte Schelling. »Du bist nicht der Typ, der keinen
Schlüssel zu seinem Eigentum hat. Leute von deinem Schlag brauchen das Gefühl
der Macht. Die wollen jederzeit Zugang haben zu dem, was ihnen gehört.«
»Es ist Wochenende«, sagte Winkens.
»Mach das Scheißtor auf!«, brüllte Schelling.
»Wie denn?«
Schelling riss das Handschuhfach auf. Triumphierend hielt er Winkens
den Schlüssel unter die Nase.
»Also los«, sagte er. »Du warst es, der damals geschrien hat, ich
solle weiterfahren! Und warum? Nur weil du um deinen guten Ruf gefürchtet hast.
Weil du an deine Karriere gedacht hast, musste dieser Junge sterben! Los jetzt,
mach das Tor auf!«
Winkens gehorchte. Er stieg aus, öffnete das Schloss und schob das
schwere Tor zur
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