Falsche Väter - Kriminalroman
dynamisch und durchtrainiert.
»Sollen wir ein Bier trinken?«, fragte Winkens. »In der Nähe der
Kiesgrube gibt es ein Bauerncafé. Die haben bestimmt noch offen. Ich lade dich
ein.«
»Fahr einfach«, sagte Schelling knapp. »Egal wohin.«
Winkens startete den Mercedes und verließ das hell erleuchtete
Gelände des Borussia-Parks. Noch hatte die ganz große Flucht der Fans nicht
begonnen, und er kam zügig voran. Bald darauf bog er auf die Autobahn Richtung
Venlo ein.
»Oder sollen wir zu mir?«, fragte er.
Thomas Schelling gab keine Antwort. Er saß mit versteinerter Miene
auf dem Beifahrersitz und schaute geradeaus.
»Na ja. Vielleicht ist es besser, wir wählen einen neutralen Ort.«
»Hast du eigentlich keine Angst?«, fragte Schelling unvermittelt.
»Sollte ich das?«
»Theo und Hubert sind tot«, sagte Schelling. »Jetzt sind nur noch
wir zwei vom Kleeblatt übrig.«
»Und das wird hoffentlich noch eine Weile so bleiben!«
»Sie sind bestraft worden.«
»Was?«
»Sie sind bestraft worden«, wiederholte Schelling.
»Bestraft? Komisches Wort! Wofür denn bestraft? Und von wem? Ich
will dir was sagen: Wir haben Mist gebaut. Wir alle. Aber wir haben dafür
bezahlt. Anna ist inzwischen eine selbstbewusste junge Frau. Ich habe mich auf
der Beerdigung von Theo selbst davon überzeugen können. Sie wird ihren Weg
gehen, da bin ich mir sicher. Mit unserer Hilfe hat sie es geschafft.«
»Und Sonja?«
»Sie war damals einverstanden«, sagte Winkens.
»Ihr habt sie kaputt gemacht!«
»Ihr?« Winkens dehnte das Wort. »Du warst auch dabei, mein Lieber,
vergiss das nicht!«
»Außerdem hat Theo Anna vergewaltigt«, sagte Schelling, ohne auf den
Einwurf einzugehen.
»Ich habe davon gehört«, sagte Winkens mit müder Stimme. »Es ist
unverzeihlich, was Theo da gemacht hat. Erst konnte ich es gar nicht glauben.
Aber es scheint tatsächlich so gewesen zu sein.«
»Ich war da, aber ich bin zu spät gekommen, es zu verhindern.«
»Du warst in der Hütte?«
»Theo hat das anscheinend von langer Hand vorbereitet. Er wusste
genau, was er tat. Er war krank und hat Wochen zuvor zwei Vaterschaftstests
machen lassen. Er hat sie mir sogar gezeigt. Deshalb musste er bestraft
werden.«
»Hast du ihn umgebracht?«
»Und unser Freund Hubert hat das Geld unterschlagen, das für Anna
vorgesehen war. Er hat uns alle betrogen!«, sagte Schelling, ohne auf Winkens’
Frage einzugehen.
»Ja. Auch Hubert hat Fehler gemacht. Große Fehler sogar. Übrigens
hat er obendrein versucht, mich zu erpressen. Aber das ist noch lange kein
Grund, ihn umzubringen.«
»Und du hast mich damals beschissen«, fuhr Schelling unbeirrt fort.
»Du warst es, der mich angeschrien hat, ich solle weiterfahren. Der Junge wäre
nicht auf der Straße verblutet, wenn wir angehalten und uns sofort um ihn
gekümmert hätten.«
»Du«, sagte Winkens. »Du bist gefahren!«
»Ja. Aber nur, weil du dafür gesorgt hast!«
»Hör endlich auf mit der alten Geschichte«, sagte Winkens.
»Irgendwann muss Schluss sein damit! Das ist doch beinahe zwanzig Jahre her.
Und wir haben die Schuld inzwischen beglichen.«
»Glaubst du das wirklich? Meinst du, du hättest Sühne geleistet,
weil du mit Sonja geschlafen und für Anna bezahlt hast? Das Bumsen hat dir damals
doch verdammt viel Spaß gemacht.«
»Es gehörte zur Abmachung«, sagte Winkens. »Wir haben alle mit Sonja
geschlafen.«
»Nein. Nicht alle.«
»Was willst du damit sagen?«
»Ich habe Sonja nicht angerührt.«
»Das hörte sich aber ganz anders an!«
»Sonja und ich haben ein wenig Theater gespielt. Für eure Ohren«,
sagte Schelling. »Das war alles.«
Winkens überlegte fieberhaft, wie er aus dieser Nummer herauskam.
Neben ihm saß ein Mann, der auf eine seltsame, unbelehrbare Art dachte. Ein
Scheißkerl, der die Vergangenheit nicht ruhen lassen konnte und von Bestrafung
faselte. Ich muss ihn irgendwie ablenken, dachte Winkens. Ich muss ihn
provozieren und auf andere Gedanken bringen.
»Ich weiß das schon lange«, sagte er endlich.
»Was weißt du?«
»Dass du damals nicht mit Sonja geschlafen hast. Du hast nämlich
keinen hochgekriegt. Du kriegst nie einen hoch, weil du ein impotentes
Arschloch bist. Deshalb bist du auch Lehrer geworden. Der pädagogische Eros ist
die einzige Form von Intimität, die du zulassen kannst. Du willst bewundert
werden, aber wehe, jemand kommt dir zu nahe.«
»Woher willst du das wissen?«
»Sonja«, log Winkens. »Sonja hat allen erzählt, dass du
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