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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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Komplexität der eigenen (Fehl-)Wahrnehmung besiegt.
    Ich hatte eine Menge im Kopf: alles von Mord bis zu einem Strauß Wildblumen, den Katrina unvermutet in unser Esszimmer gestellt hatte.
    Ich beschloss, jede weitere neue Information zu ignorieren, bis ich wenigstens eine der bestehenden Fragen beantwortet hatte.
    Im selben Moment ertönte erneut der Summer der Gegensprechanlage. Ich nahm mir vor, das Kabel zu trennen.
    »Ja, Mardi?«
    »Ein Mr. Alphonse Rinaldo möchte Sie sprechen, Mr. McGill.«

11
    »Führ ihn herein«, sagte ich, perplex von der Wucht ihrer leisen Worte.
    Alphonse Rinaldo.
    Ich hatte ihn noch nie außerhalb seines Downtown-Büros gesehen. Der Big Boss kam nicht zu einem; soweit ich wusste, ging er überhaupt nirgendwo hin.
    Ich erhob mich, als die Tür aufging. Mit einem Lächeln für mich und die Aussicht betrat Mardi das Zimmer. Sie bewegte sich ein wenig unsicher, doch das war okay – ich war selbst leicht aus dem Tritt. Alphonse Rinaldo war der mächtigste Mann, dem ich je begegnet war. Ihn hinter diesem Kind in den Raum kommen zu sehen, war schlicht unwirklich. Sein dunkelbrauner Seidenanzug kostete mehr als die meisten Autos. Er war 1,78, hatte einen perfekten Teint und gepflegtes Haar. Er nickte und ging würdevoll zum Besucherstuhl.
    Es schien nachgerade absurd, dass ein so wichtiger Mann denselben Platz einnehmen sollte, den George Toller gerade erst geräumt hatte.
    »Kann ich Ihnen irgendwas bringen, Mr. Rinaldo?«, fragte Mardi.
    »Kaffee?«, fragte er.
    »In der Lobby gibt es einen Coffee Exchange«, sagte ich. »Bring mir auch einen mit, ja, Mardi?«
    Ich gab ihr einen Zehndollarschein und den Schlüsselring für die Eingangstür und fügte hinzu: »Der silberne Schlüssel ist für das oberste Schloss.«
    Sie lächelte und ging rückwärts aus dem Zimmer.
    »Nettes Büro«, sagte Rinaldo. Seine Stimme war glatt und tief wie ein stiller See an einem perfekten Tag.
    »Danke.«
    Ich setzte mich und runzelte noch einmal die Stirn. Es wurde immer unwahrscheinlicher, dass ich es bis zur letzten Runde schaffte.
    Wie Toller trug Rinaldo einen Aktenkoffer. Aber im Gegensatz zu dem sogenannten CFO brachte der Sonderbevollmächtigte der Stadt New York bestimmt keine Thunfisch-Sandwiches und Kondome mit zur Arbeit.
    Einen Moment lang stellte ich mir vor, wie Toller es im 81. Stock mit Aura auf ihrem großen Metallschreibtisch trieb.
    »Irgendetwas nicht in Ordnung, Leonid?«, fragte Alphonse.
    »Sind Sie ganz allein gekommen?«
    »Ja.«
    »Dann wissen Sie auch, warum ich aussehe, als ob irgendwas nicht in Ordnung wäre.«
    Anstatt zu lächeln, zog er ein kleines Foto aus der Brusttasche und gab es mir.
    Es war der Schnappschuss eines schwarzhaarigen Mädchens von höchstens fünfundzwanzig Jahren, das schüchtern und zugleich wild aussah. Sie hatte das Gesicht zum Objektiv gewandt, blickte jedoch nicht hinein. Die Aufnahme war gemacht worden, ohne dass sie es wusste.
    »Ist das das Mädchen, das sie gestern Abend gesehen haben?«
    »Ich verstehe das nicht, Mr. Rinaldo, Sie könnten einhundert Leute dazu bringen, Ihnen die Tatortfotos zu zeigen. Soweit ich weiß, ist das NYPD ein offenes Buch für Sie.«
    »Ich darf nicht in die Sache verwickelt werden.« Er runzelte die Brauen ein paar Millimeter; nicht viel, aber ein Mann von beinahe königlichem Adel musste auch nicht viel tun.
    »Das Gesicht des toten Mädchens war zum größten Teil zerstört, aber sie hatte blonde Haare und ein blaues Auge.«
    An einem kurzen Beben seiner Lippen und einem kaum merklichen Blähen der Wangen erkannte ich seine Erleichterung. Ich konnte den Seufzer nicht direkt hören, aber er war da.
    »Was ist mit Strange passiert?«, fragte ich.
    »Ich habe ihn von dem Job abgezogen«, sagte Rinaldo. »Ich habe ihm gesagt, dass der Auftrag erledigt sei.«
    »Aber das ist er nicht.«
    »Sie müssen dieses Mädchen für mich finden, Leonid. Es ist sehr wichtig für mich.«
    In diesem Kampf – für den man sich einen Plan gemacht hat, an den man sich hält – kann einen jede Veränderung des Gegners aus dem Tritt bringen; zum Beispiel wenn er von der normalen Rechtshänderhaltung in die Linkshänderstellung wechselt. Ich hatte nie erwartet, bei diesem Mann, der in jeder Hinsicht jenseits von Schmerz schien, so etwas wie Verletzlichkeit zu sehen.
    »Hat Strange Ihnen meine Bedingungen ausgerichtet?«, tat ich, als wäre dies ein Treffen unter Gleichen.
    »Er zeichnet jedes Gespräch auf, das er für mich führt.«
    »Und

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