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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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an, ich sorgte dafür, dass man ihm nichts nachweisen konnte, und rettete sogar seinen Rentenanspruch.
    Seitdem haben es die Besitzer auf mich abgesehen. Zuerst schickten sie Aura, um mich zu vertreiben, doch stattdessen wurden wir ein Paar. Jetzt schickten sie mir den Liebhaber meiner Ex-Geliebten.
    Das musste irgendeine tiefere Bedeutung haben.
    »Wie kann ich Ihnen helfen, Mr. Toller?«
    »Sie könnten Ihre Sachen packen und ausziehen«, sagte er. »Ich würde Ihren Mietvertrag gerne zerreißen.«
    Er lächelte, ohne die Zähne zu zeigen.
    Mir kam der Gedanke, dass er keine Ahnung von der Beziehung zwischen mir und Aura hatte.
    »Diese Aussicht könnte ich niemals aufgeben«, gestand ich.
    »Acht Zimmer und nur eine Angestellte? Mr. McGill, das ist Platzverschwendung.«
    Wir hassten einander, ohne uns je zuvor begegnet zu sein. Interessant fand ich, dass unsere Gründe dafür so weit auseinander lagen. Durch meinen zwielichtigen Umgang mit dem Besitz seines Herrn war sein Anstandsgefühl verletzt worden. Auf dem College hatte man ihm beigebracht, meinesgleichen zu verachten. Meine Abscheu hingegen hatte eine eher atavistische Ursache. Dieser Mann hatte mir die Frau gestohlen. Ich wollte ihm gleich hier auf dem Tisch aus afrikanischem Holz das Herz herausschneiden.
    Ich fragte mich, ob so Kriege zwischen Nationen anfingen, ob ganze Völker sich gegenseitig abschlachteten, ohne sich auch nur darauf einigen zu können, worüber sie stritten.
    »Ist das alles?«, fragte ich höflich.
    »Ich habe mir ein Büro im 42. Stock genommen«, erwiderte er. »Und der Hauptzweck meiner Anwesenheit sind die Annullierung Ihres Vertrags und die Räumung Ihres Büros, möglicherweise verbunden mit einer Haftstrafe für Sie.«
    Toller war keinen Tag älter als fünfundvierzig, bewegte sich jedoch wie ein Siebzigjähriger. Er war einer dieser Männer, die schon mit der Last der Jahre auf den Schultern zur Welt kommen. An seinem Tonfall und Augenaufschlag erkannte ich, dass er sich für bedrohlich hielt. Ich vermutete, dass er sich die Angst ausmalte, die ich bei seinen Worten empfinden sollte.
    Ich lächelte.
    »Bezahlt man Sie anständig, Mr. Toller?«
    »Ganz ordentlich.«
    »Ganz ordentlich? Das ist eine Menge Geld für den Versuch, einen in gutem Glauben abgeschlossenen Vertrag zu annullieren. Hören Sie zu, Mann, diese leeren Räume gehören mir, so wie Ihnen Ihr kleines Büro dreißig Stockwerke tiefer gehört. Ich ziehe nicht aus, und Sie schicken mich nirgendwohin. Okay?«
    Schließlich doch ein Stirnrunzeln.
    »Ich bin sehr gut in meinem Job, Mr. McGill. Die Aufdeckung wirtschaftskrimineller Machenschaften sind mein Spezialgebiet.«
    Und ich habe eine Pistole in der obersten Schublade.
    Das Bild von Tollers Kuss mit Aura trat mir wieder vor Augen. Ich spürte, wie meine Fingernägel sich in meine Handflächen gruben.
    »Ich habe nichts Ungesetzliches getan, Mr. Toller«, log ich. »Sie können also Ihren roten Koffer und Ihren blauen Anzug nehmen und machen, was ein aufdie Aufdeckung wirtschaftskrimineller Machenschaften spezialisierter CFO so treibt. Ich bleibe, wo ich bin.«
    »Ich glaube, Sie begreifen den Ernst Ihrer Lage nicht.«
    »Was man nicht weiß«, zitierte ich, »weiß man halt nicht.«
    Irgendwas an diesem Satz empörte das Schönheitsempfinden des Pedanten. Er blähte den linken Nasenflügel, stand auf und umarmte seinen Aktenkoffer wie ein Stoffschweinchen.
    »Sie hören von mir«, waren seine letzten Worte, bevor er ging.
     
    Der Gedanke an Tollers Ermittlung schüchterte mich nicht ein. Natürlich war ich – wie jeder – verwundbar. Man kann jeden Menschen in einem üblen Licht darstellen. Und ich hatte so viele Leichen im Keller, dass selbst der Insasse einer Todeszelle vergleichsweise engelhaft dastand. Aber ich machte mir keine Sorgen – nicht wegen Toller –, ich war bloß überwältigt von meinen Lebensumständen.
    Jeder gute Boxer weiß, mit einer soliden Taktik, an die er sich hält, hat er immer eine Chance, den Kampf zu gewinnen. Und selbst wenn er nicht gewinnt, kann er es bis zum Schlussgong schaffen und zumindest ein paar Zweifel am Sieg des Gegners streuen.
    Besiegt wird ein Kämpfer mit einem guten Plan in der Regel nicht durch Kraft oder einen Lucky Punch; nein, meist unterliegt ein solider Boxer dem Ansturm eines nicht zu ortenden Angriffs. Wenn es vom Gegner derart viele Schläge hagelt, dass man durcheinandergerät, wirdman zwangsläufig von seinem Plan abgelenkt und durch die

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