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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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sicher, wenn die oberen Ränge des NYPD und die Staatsanwaltschaft die Finger im Spiel hatten. Selbst in einer Demokratie hat die Regierung die Macht, jeden anzuklagen und zu verurteilen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen – das heißt, jeden unterhalb eines bestimmten Jahreseinkommens. Dass ich für Rinaldo arbeitete, bedeutete nicht, dass er mich schützen würde. Meine Selbstständigkeit machte mich entbehrlich, und wenn ich versuchte, ihn mit in den Abgrund zu ziehen, würde ich als eines der beklagenswerten Selbstmordopfer enden, die an den Gitterstäben unterirdischer Zellen baumelten.
    Man nannte das Justizgebäude nicht umsonst »The Tombs«, die Gruft.
    Wie um diese düsteren Gedanken zu unterstreichen, strich eine kalte Brise um meinen Hals.
    »Hey, Juan«, sagte ein großer Schwarzer, der rechts neben mir aufgetaucht war und Kleidung trug, die in den meisten Haushalten als Lumpen gelten würde.
    »Chester«, sagte mein Kellner. »Einen Moment.«
    Juan griff unter den Tresen und zog eine mittelgroße braune Papiertüte hervor, die er dem Mann namens Chester gab.
    »Danke, Bruder«, sagte Chester.
    »Und jetzt geh«, erwiderte Juan. »Der Boss ist hinten.«
    Chester grinste – ihm fehlten mehrere seiner bernsteinfarbenen Zähne – und vollführte auf dem Weg zur Tür die Pantomime eines Sprints.
    Ich muss wohl gestarrt haben, denn Juan sagte: »Er lebt in meinem Viertel in der Bronx. Wenn niemand guckt, gebe ich ihm ein bisschen Suppe und Brot.«
    »Was macht er denn in dieser Gegend, wenn er aus der Bronx ist?«
    »Um diese Jahreszeit sind die Menschen in der Regel spendabler«, sagte Juan. »Wegen Weihnachten und Thanksgiving. Aber dieses Jahr nicht so. Dieses Jahr ist nicht genug für alle da.«
     
    Ich nahm ein Taxi zu meinem Büro. Mardi war mittlerweile gegangen.
    Als ich Broderick Tinely mit Bugs spezieller Suchmaschine im Netz durchleuchtete, entdeckte ich, dass er auf Miet- und Baurecht spezialisiert war, vor allem Fälle gegen kriminelle Vermieter. Seit acht Jahren hatte er keinen Prozess mehr gegen einen Gewaltverbrecher geführt. Er wurde langsam alt, zweiundfünfzig seit dem vergangenen April, und seine Karriere im Büro der Staatsanwaltschaft kam nicht recht von der Stelle.
    Das hatte bestimmt etwas zu bedeuten. Ich wusste nur nicht, was.
    Lamont Jennings brauchte keine eigene Website. Bei den Fällen, mit denen er in den Nachrichten auftauchte, verteidigte er stets wohlhabende, prominente Mandanten. Seine Kanzlei nahm so ziemlich alles an, von Alkohol am Steuer bis Mord, er vertrat die Kinder reicherMagnaten oder reiche Magnaten, die wie Kinder lebten. Er verlor nur selten. Seine Mandanten wurden nie des schlimmsten Verbrechens für schuldig befunden, dessen man sie angeklagt hatte.
    Weder Tinely noch Jennings hatten etwas mit Angie zu tun, zumindest im World Wide Web nicht. Und zwischen den beiden gab es auch keine erkennbare Verbindung. Soweit ich sehen konnte, versuchte Tinely nur, im Büro der Staatsanwaltschaft nach oben zu kommen, und Jennings war genau der richtige Anwalt für eine junge Frau, der die Justiz etwas anhängen wollte.
     
    Um zehn entschied ich, dass ich nichts weiter tun konnte, zog einen Trench über, den ich im Garderobenschrank aufbewahrte, und verließ das Gebäude. Ich nahm die U -Bahn bis zur Station 86 th Street/Broadway. Von dort ging ich zu Fuß zu unserem Haus in der 91 st Street, nur einen Steinwurf vom Riverside Drive entfernt.
    Ich zog gerade die Schlüssel aus der Tasche, als jemand mit einem leichten osteuropäischen Akzent rief: »McGill!«
    Ich drehte mich um und sah zwei Männer – einen großen und einen von mittlerer Statur – eilig auf mich zulaufen. Ich ließ den Schlüssel fallen und schüttelte die Arme aus.
    Als sie nur noch zweieinhalb Schritte von mir entfernt waren, sprach der kleinere Mann mich an.
    »Wo ist das Mädchen?«, wollte er wissen.
    Sie kamen ungebremst auf mich zu.
    Der größere Mann hatte einen längeren Schritt undwar deshalb als Erster in Reichweite. Seine Hand schnellte vor, wahrscheinlich um mich am Arm zu packen. Ich duckte mich und verpasste ihm einen Aufwärtshaken in den Magen. Er grunzte, als würde er es ernst meinen; ich richtete mich ganz auf und gab ihm mit meinem blanken Schädel einen Kopfstoß auf die Nase.
    Beim Boxen sind Kopfstöße verboten, aber es war kein Ringrichter in der Nähe, der einen Punktabzug verfügen konnte. Der Große war noch nicht am Boden, aber so angeschlagen, dass ich meine

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