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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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ebenfalls weder gekannt noch jemals bewusst mit ihr gesprochen. Aber Sie können mir glauben, dass ich über beide etwas in Erfahrung bringen muss, weil Charbon mich noch mehr hasst als Sie ihn.«
    Carson und ich starrten uns in die Augen, sehr lange, so fühlte es sich zumindest an. Er glaubte (und ich glaubte es auch), dass er einem Menschen ansehen konnte, ob er log, wenn er ihm tief in die Augen blickte. Ich gab ihm Gelegenheit, seine Gabe anzuwenden.

28
    »Ich weiß nicht, was hier läuft, Carson«, sagte ich.
    Wir folgten der 8 th Avenue Richtung Norden. Für einen beliebigen Passanten sahen wir aus wie zwei vom Glück verlassene Geschäftsleute in schlechten Anzü-gen. Er hatte Lieutenant Bonilla angerufen – die beiden duzten sich – und erfahren, dass ich die Wahrheit gesagt hatte.
    Nachdem er sicher wusste, dass Charbon die Finger im Spiel hatte, wurde er zappelig. Er wollte nicht mehr im Revier sitzen bleiben. Selbst in seinem unterirdischen Bunker fühlte er sich verwundbar.
    »Und was wollen Sie von mir?«, fragte er.
    Die Sonne ging wieder unter und nahm, so kam es mir vor, meine ohnehin provisorische Verbindung zur Vernunft mit sich.
    »Ich weiß nicht genau«, sagte ich. »Ich meine, ich kriege einen Anruf, der mich an den Tatort bestellt. Ich gebe zu, das ist verdächtig. Aber ich habe noch nie von Wanda Soa gehört, und der Killer war für mich ebenfalls ein Fremder.«
    Keiner von uns trug einen Mantel, und es war garantiert unter zehn Grad. Mich fröstelte jedenfalls, doch das lag auch an der Befragung, der ich unterzogen wurde.
    Carson Kitteridge war so gut darin, Verdächtigen die Wahrheit zu entlocken, dass er auf Abruf für sämtliche Reviere New Yorks bereitstand. Manchmal wurde er fürkomplizierte Verhöre auch an andere Städte ausgeliehen. Wenn er freiberuflich gearbeitet hätte, hätte ich ihn selbst eingesetzt.
    »Ich weiß immer noch nicht, was Sie wollen«, sagte Carson.
    »Ja. Also … was ist mit Wanda Soa?«
    »Was soll mit ihr sein?«
    »Warum regen sich alle so auf?«, fragte ich. »Ich meine, es ist Mord und alles, aber normalerweise wird doch nicht so viel Druck gemacht, vor allem wenn die Presse nicht darauf anspringt.«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Kitteridge. Es war ein einfacher Aussagesatz, aber einer, den ich aus seinem Mund nur selten, wenn überhaupt je gehört hatte.
    Um mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen, sagte ich: »Gehen wir in das Diner da drüben, Mann. Hier draußen erfrier ich.«
    Auf der anderen Straßenseite war ein Coffee Shop mit einem Tresen und ein paar Tischen. Wenn ich mit irgendeinem anderen der acht Millionen New Yorker unterwegs gewesen wäre, selbst einem, der an den Rollstuhl gefesselt war, hätten wir die Avenue an Ort und Stelle überquert und uns tollkühn und mit List durch den Verkehr geschlängelt. Carson jedoch ging zu dem Fußgängerüberweg an der nächsten Ecke und wartete auf die Ampel. Ich glaube, selbst wenn seine Mutter in diesem Diner gerade einen Schlaganfall erlitten hätte, hätte er das Gleiche getan.
    Seine Gesetzestreue war ebenso lächerlich wie beängstigend.
     
    Am Tresen sitzend und schwarzen Kaffee nippend setzten wir unsere geheime Unterredung fort.
    »Macht irgendjemand Druck in dem Fall?«
    Carson starrte mich an. Vor Konzentration kniff er beinahe sein rechtes Auge zu.
    »Sie kennen Soa nicht?«, fragte er.
    »Bevor ich zum Tatort gekommen bin, hatte ich nie von ihr gehört.«
    »Und warum waren Sie dann dort?«
    »Ich hab einen Anruf erhalten.«
    Wieder warteten wir beide, bis er meine Worte verdaut hatte.
    »Es gibt einen Stellvertretenden Distriktstaatsanwalt namens Tinely«, sagte er. »Broderick Tinely. Aus irgendeinem Grund hat er wegen dieses Mordfalls Hummeln im Hintern. Er hat Assistant Chief Chalmers heftig bedrängt, und von dort sickert die Scheiße nach unten.«
    »Warum?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Carson Kitteridge noch einmal. »Ich habe einen Anruf aus dem Rathaus bekommen, ich sollte Ihnen Druck machen. Von Charbon wusste ich nichts. Er würde sich eher ein Ei abschneiden, als mich zu irgendetwas hinzuzuziehen, an dem er arbeitet.«
    Ich nippte an meinem Kaffee, der nach Metall und den Chemikalien schmeckte, mit denen Spülhilfen Blechtöpfe reinigen.
    »Wie lautet der Deal?«
    »Haben Sie irgendwas mit diesen Morden oder den Ermordeten zu tun?«, fragte Carson.
    »Wenn ja, weiß ich nicht, wie.«
    Er trommelte mit den Fingern auf den Tresen.
    »Es ergibt keinen Sinn«, sagte er

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