Falscher Ort, falsche Zeit
Hemd mit scharlachrotem Schimmer. Seine Fingernägel waren manikürt. Die bläuliche Seidenkrawatte war eine perfekte Imitation von Schlangenhaut. Rinaldos Anwesenheit verwandelte unsere Nische in eine Art päpstliche Sänfte.
Ich verkniff mir eine spöttische Verbeugung und nahm ihm gegenüber Platz.
Einige Augenblicke lang starrten wir uns gegenseitig an, was mich an Diego und Patrick erinnerte. Es war ein beunruhigendes Gefühl.
Ich erwartete, dass der Big Boss gleich zur Sache kommen würde. So hatte er seine Geschäfte bisher immer erledigt. Aber die vergangene Woche war voller Offenbarungen gewesen.
»Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, Leonid«, sagte er. »Ich weiß, dass ich Sie nicht besonders gut unterstützt habe.«
Bevor ich antworten konnte, sagte eine andere Stimme: »Was kann ich Ihnen bringen, Kumpel?«
Es war ein nussbrauner Weißer in weißer Kochuniform. Er war klein, drahtig und ging seinem Job ziemlich leidenschaftslos nach.
»Kaffee schwarz, Rührei mit Schinken«, sagte ich.
»Kartoffelpuffer?«
»Nein danke.«
Der Koch/Kellner wandte sich ab.
»Terry Lord wird in seiner Branche ›der Impresario‹ genannt«, sagte Alphonse. »Er arbeitet auf höchstem Niveau als Freelancer, ein Unternehmer, der, wie soll ich es ausdrücken, Entwicklungen in Gang bringt.«
»Was für Entwicklungen?«
»So wie Sie früher«, sagte Alphonse, »aber von einer ganz anderen Größenordnung.«
Rinaldos Beschreibung war durchaus subtil. Ich war überrascht, dass er sich daran erinnerte, dass ich nicht mehr das Leben eines Gangsters lebte, sondern mich bemühte, es auf meine Weise wiedergutzumachen. Verglichen mit der Welt, in der er sich bewegte, kam mir meine Existenz so klein und unbedeutend vor. Dass meine Lebensumstände überhaupt in seinen Gesichtskreis gerieten, war … unwahrscheinlich – so als würde ein Berg behaupten, den Weg einer Raupe zu spüren.
»Sie glauben also, Lord könnte Tara als, ähm, Hebel benutzen wollen?«
Rinaldo sog die Lippen ein und versuchte sofort, diese Gefühlsregung mit der linken Hand zu kaschieren.
»Ich weiß es nicht«, sagte er. »Wenn er es auf mich abgesehen hat, wäre es plausibel, dass er versucht, übersie an mich heranzukommen. Möglicherweise hat er beschlossen, sie zu töten, aber ich weiß wirklich nicht, warum. Es ist jedenfalls nichts Persönliches. Er arbeitet im Auftrag von irgendjemandem. Ich muss herausfinden, für wen.«
»Ich nehme an, eine so delikate Sache können Sie nicht über Strange oder Latour regeln«, mutmaßte ich.
»Nein.«
»Was ist mit Tara?«
»Was soll mit ihr sein?«
»Was hat sie mit Ihnen zu tun?«
Alphonse Rinaldo verzog das Gesicht, wenn auch nur minimal, und wandte sich mit einem Schaudern ab. Mit diesen knappen Gesten teilte er mir mit, dass dieses Thema, Hauptzweck und -anlass unserer geschäftlichen Zusammenarbeit, tabu war.
»Dann erzählen Sie mir, was Sie über Lord wissen«, sagte ich.
»Es gab einmal einen Kongressabgeordneten«, begann Rinaldo vertraulich.
»Hier ist Ihr Rührei mit Schinken«, sagte der nussbraune Koch, stellte Essen und Kaffee ab und ging.
»Es gab einmal einen Kongressabgeordneten …«, wiederholte ich den Anfang der Geschichte.
»… der die Preispolitik der Ölfirmen unter die Lupe genommen hat, ein nassforscher Neuling aus dem Mittleren Westen, der das Protokoll nicht begriff, das man bei einer solchen Initiative beachten muss. Die Aufdeckung der verwerflichen Praktiken … zog sich in die Länge. Terry Lord wurde engagiert, das Verfahren aus dem Hintergrund zu begleiten … Sie hieß Alana Ashund war alles, was sich ein glücklich verheirateter Mann von einer Prostituierten wünschen konnte. Das Arrangement dauerte elf Monate. Kurz bevor der Kongressabgeordnete den Fall der Ölfirmen vor seine Kollegen bringen wollte, zog Alana nach Virginia, nicht weit entfernt von Washington D . C . Eines Tages ließ der Kongressabgeordnete sie mit einem Wagen abholen. Das FBI nahm ihn wegen Sexhandel zwischen zwei Bundesstaaten fest, noch bevor der Schweiß getrocknet war.«
Es war ein schlichtes Szenario, wie ich es – eine Nummer kleiner – selbst arrangiert haben könnte.
»Das heißt, er hat eine Menge Einfluss, was?«
»Er könnte Sie zermalmen, ohne nachzudenken, Leonid.«
Ich konnte das Lächeln, das über meine Lippen huschte, nicht unterdrücken. »In dieser Welt ist niemand vor niemandem sicher.«
»Brauchen Sie sonst noch was von mir?«, fragte er.
»Was wissen Sie
Weitere Kostenlose Bücher