Falsches Blut
Folglich konnte ich mich wohl bedenkenlos selbst entlassen.
Ich setzte mich auf und schwang die Beine über die Bettkante. Der Tropf war mit zwei weichen Pflasterstreifen in meiner Armbeuge befestigt. Ich riss sie ab, packte die Plastikkappe des Zugangs und zog daran. Sie flutschte ohne jeden Widerstand heraus. Aus der Zugangswunde quollen lediglich ein paar Tropfen Blut. Eine Nadel war nicht daran befestigt, also tastete ich meine Armbeuge ab, fand jedoch ebenfalls nichts. Ich konnte nur hoffen, dass das nichts Schlimmes zu bedeuten hatte.
Ich legte den Infusionsschlauch aufs Bett und stand auf, wobei mir das Blut in die Beine rauschte. Einen Moment lang war mir schwindlig, so dass ich um ein Haar ins Straucheln geraten wäre. Ich blinzelte und schüttelte den Kopf. Es dauerte einige Sekunden, bis die Welt ringsum zum Stillstand kam, trotzdem fühlte ich mich wie an einem Freitagabend nach ein paar Drinks. Wahrscheinlich waren es die Auswirkungen des Wirkstoffs, den Karen mir verabreicht hatte. Daran würde ich mich erst gewöhnen müssen. Ich stützte mich an der Bettkante ab und zog die Nachttischschublade auf. Verbandszeug. Nicht das, was ich mir erhofft hatte, aber trotzdem hilfreich. Ich riss ein Pflasterpäckchen auf und legte eines davon auf die Wunde. Zwar würden einige Haare mitgehen, wenn ich es später wieder abriss, aber das war immer noch besser als eine blutende Wunde.
Danach öffnete ich die Kommode neben dem Sessel, auf dem Bowers zuvor gesessen hatte. Meine Jeans und ein weißes T-Shirt lagen in der oberen, meine Schuhe, Schlüssel und die Brieftasche in der unteren Schublade. Unterwäsche wäre ganz nett gewesen, aber notfalls würde es auch ohne gehen müssen. Ich zog mich in dem kleinen Badezimmer, das zu meinem Krankenzimmer gehörte, an und schlüpfte ohne Socken in meine Schuhe. Ich sah zwar nicht wie ein Arzt oder auch nur wie ein halbwegs anständig gekleideter Handwerker aus, aber es würde schon gehen.
Fünf Minuten später spazierte ich wie ein x-beliebiger Besucher durch den Haupteingang des Krankenhauses hinaus. Niemand würdigte mich auch nur eines Blickes.
Die juristische Fakultät war nur wenige Häuserblocks entfernt, deshalb kannte ich die Gegend ziemlich gut. Ringsum gab es jede Menge Restaurants, Buchhandlungen und sonstige Geschäfte. Ich ging nach Süden, in Richtung des Uni-Verwaltungsgebäudes. Einen Moment lang war mir so schwindlig, dass ich stehen bleiben und mich an einem Laternenpfahl festhalten musste. Offenbar war der Wirkstoff doch stärker, als ich angenommen hatte.
Schließlich hatte ich mich ein wenig gefangen und konnte meinen Weg fortsetzen, langsamer zwar, aber immerhin. Wenn ich die nächsten zwölf Stunden überleben wollte, brauchte ich ein paar Sachen, unter anderem eine Waffe. Natürlich war der Campus nicht der richtige Ort, um sich so etwas zu beschaffen, aber zumindest konnte ich mir etwas Bargeld besorgen. Ich hob fünfzig Dollar vom Campus-Geldautomaten ab und rief mir ein Taxi. Während ich wartete, sah ich mir den Auszahlungsbeleg an. Auf unserem Konto waren knapp dreitausend Dollar– der Großteil davon stammte von Hannahs letztem Gehaltsscheck. Das meiste davon würde ich ausgeben müssen, auch wenn ihr das ganz und gar nicht gefallen würde.
Fünf Minuten später traf das Taxi ein. Statt dem Fahrer die Adresse meines Hauses zu nennen, bat ich ihn, mich zum Club zu fahren.
Mein Wagen stand noch an derselben Stelle auf dem Abbey-Angestelltenparkplatz hinter der Kirche, allerdings war die Stoßstange verbeult und ein Scheinwerfer fehlte. Offenbar hatte Azrael keine Lust auf einen Abschleppwagen gehabt und kurzerhand beschlossen, sich in Eigenregie Platz zu verschaffen. Wie rücksichtslos! Zum Glück sprang der Motor ohne Probleme an.
Ich musste mir ohne großes Aufsehen eine Waffe besorgen, und als ehemaliger Detective des Morddezernats wusste ich auch, wie ich das bewerkstelligen konnte: Ich fuhr nach Hause, zog mir eilig frische Sachen an und machte mich auf den Weg in ein etwa zehn Meilen entferntes Pfandleihhaus.
Frank’s Pawn & Gift, am nördlichen Stadtrand gelegen, teilte sich eine Passage mit einer Buchhandlung und einem Erotikkino, an das eine einschlägige Buchhandlung angeschlossen war. Ein Pfandverleih und ein Porno-Kino– vermutlich eine überaus fruchtbare Nachbarschaft. Beide zogen Kunden an, die weder scharf auf Fragen noch auf Aufmerksamkeit waren, und Sauberkeit hatte in beiden Branchen nicht gerade oberste
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