Falsches Blut
gesessen hatte.
Nach dem Essen bot Hannah an, den Abwasch zu übernehmen, damit ich allein mit Rana und Nassir reden konnte.
Wir setzten uns auf die Veranda. Anfangs wusste ich nicht recht, was ich sagen sollte. Der Geruch nach Pferdeäpfeln stieg mir in die Nase; offenbar war meine Schwester immer noch auf ihrem Biodünger-Trip. Schließlich räusperte ich mich und sah Rana und Nassir an. Ein angedeutetes Lächeln erschien auf Ranas Zügen. Eigentlich wollte ich mit den beiden ja nicht über Rachel sprechen, doch da ich der einzige Polizist war, der ihren Fall noch nicht zu den Akten gelegt hatte, blieb mir keine andere Wahl.
» Du siehst aus, als wolltest du etwas sagen « , meinte Rana aufmunternd.
» Robbie Cutting ist heute gestorben « , sagte ich und nickte. » Er war Rachels Freund. «
Nassir stand auf und spuckte in die Hecke vor der Veranda. Er stand mit dem Rücken zu mir da, die Hände um das Geländer gelegt. » Wir haben es heute Nachmittag erfahren « , sagte er leise.
» Kanntet ihr ihn? «
» Nein. « Er drehte sich um und kreuzte die Arme vor der Brust. » Rachel hat uns nie etwas von ihm erzählt. «
Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und wartete darauf, dass der wütende Ausdruck auf seinem Gesicht verflog. Was nicht passierte.
» Glaubt ihr, dass es noch andere Dinge gab, die sie euch verheimlicht hat? « , fragte ich weiter.
» Rana und ich haben heute schon genug Fragen beantwortet « , erklärte er mit einer abwehrenden Geste. » Das reicht jetzt. « Meine Schwester streckte die Hand nach ihm aus und sah ihn an, ehe sie sich wieder mir zuwandte.
» Wieso fragst du nach Rachel? « , wollte sie wissen.
» Weil ich ihren Fall übernommen habe und herausfinden will, was mit ihr passiert ist, bevor noch jemand zu Schaden kommt. «
Nassir und Rana tauschten einen Blick. Schließlich schnaubte mein Schwager geräuschvoll und wandte sich ab, während Rana mich verunsichert ansah.
» Heute Nachmittag war ein Mann von der Polizei hier « , sagte sie stirnrunzelnd. » Er meinte, der Fall sei abgeschlossen, weil Robbie den Mord an Rachel zugegeben hätte. «
Schönen Dank auch, Mr. Bowers.
» Das wäre möglich– mit Sicherheit können wir es aber nicht sagen « , erwiderte ich. » Und es muss gewährleistet sein, dass niemand anderes verletzt wird. «
Nassirs Adamsapfel hüpfte auf und ab. Seine Augen röteten sich. » Glaubst du, was sie über meine Tochter sagen? « , fragte er mit brüchiger Stimme. » Dass sie mit diesem Jungen geschlafen hat und dass die beiden Drogen genommen haben? «
Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht und überlegte, was ich darauf antworten sollte. » Ich habe Rachel geliebt « , sagte ich schließlich, beugte mich vor und stützte mich mit den Ellbogen auf den Knien ab. » Sie hat es nicht verdient, so zu sterben. So viel weiß ich jedenfalls. «
Ich hatte keine Ahnung, ob das die richtige Antwort war. Nassir ging langsam auf und ab. Er hatte die Zähne so fest zusammengebissen, dass seine Kiefermuskeln hervortraten; seine Nasenflügel blähten sich bei jedem Atemzug. Rana sah ihn einen Moment lang an, dann wandte sie sich wieder mir zu.
» Ich werde deine Fragen beantworten « , sagte sie. » Aber du musst mir versprechen, dass du Rachel nicht verletzt. Ihr Andenken, meine ich. Und wenn du etwas Schlimmes über sie herausfindest, wollen wir es nicht wissen. «
Am liebsten wäre ich in diesem Augenblick aufgestanden und weggegangen. Jemanden zu befragen, der gerade einen geliebten Menschen verloren hat, ist schlimmer, als Salz in offene Wunden zu streuen. Es ist, als übergieße man ihn mit einem Eimer Salzsäure. Jedenfalls versprach ich ihr, mich nach Kräften zu bemühen. Einen Moment lang saß ich schweigend da und sammelte mich, den Blick auf den Boden geheftet, um ihnen nicht in die Augen sehen zu müssen.
» Wie lief es in letzter Zeit bei euch? «, fragte ich dann. » Mit Rachel, meine ich. «
Rana zuckte die Achseln. » Sie ist erwachsen geworden « , sagte sie. » Du weißt ja, wie das ist– erwachsen werden. «
» Das bedeutet für jeden etwas anderes « , gab ich zurück. » Was genau meinst du damit? «
Rana sah Nassir an, der ihren Blick jedoch nicht erwiderte.
» Sie war ein Teenager « , sagte sie dann. » Sie wollte bei ihren Freundinnen übernachten, länger wegbleiben dürfen, und wir sollten ihr Zimmer nicht mehr betreten. Solche Dinge. «
» Hatte sie jemals Ärger? « , fragte ich. » Zu Hause oder in der Schule?
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