Falsches Blut
in meiner Anfangszeit als Detective, hätte ich einen offiziellen Antrag bei einem Mitarbeiter des Ministeriums stellen müssen, um die Unterlagen ausgehändigt zu bekommen. Das ganze Verfahren hätte ungefähr eine Woche gedauert, und am Ende hätte ich womöglich rein gar nichts in der Hand gehabt. Doch seither hat sich in puncto Technik eine ganze Menge getan. Ich gab » Sunshine Blood Products « in die Datenbank ein und bekam prompt einen Eintrag im Handelsregister. Der Gesellschaftervertrag der Firma konnte online zwar nicht abgerufen werden, aber den Namen und die Adresse der Firmengründerin und Geschäftsführerin hatte ich – Karen Rea. Ich bezweifelte, dass Azrael und Karen Rea ein Paar waren, aber zumindest hatte ich einen Namen in der Hand. Wahrscheinlich diente Karen lediglich als Cover; bestimmt war sie eine taube Nuss, die Azrael und seine Kumpels für die Firmengründung benutzt hatten. Trotzdem notierte ich den Namen. Vielleicht konnte sie mir ja weiterhelfen.
Ich massierte meine Schläfen in der Hoffnung, die Kopfschmerzen dadurch zu vertreiben. Das IMPD ist ein ziemlich großer Laden, in mancherlei Hinsicht aber wie ein Kuhdorf. Klatsch verbreitet sich erfahrungsgemäß schnell und weitläufig, deshalb war es durchaus möglich, dass meine Begegnung mit dem Sheriff bereits Gesprächsthema Nummer eins auf dem Revier war. Sollte sich der Vorfall sogar bis zu Susan Mercer herumsprechen, standen die Chancen gut, dass mein Urlaub auf unabsehbare Zeit verlängert werden würde.
Ich loggte mich in den Dezernatsserver ein, um meine Mails zu checken. Das meiste war unwichtiger Müll, doch dann blieb mein Blick an einer Mailadresse hängen, die ich noch nie gesehen hatte. » Von einem Freund « stand im Betreff. Um ein Haar hätte ich sie gelöscht, da sich hinter derlei dubiosen Orakeleien meistens sowieso nur Angebote für Penisverlängerungen oder Investmentempfehlungen verbargen. Andererseits hatte Olivia mir mit denselben Worten anonym Rachels vorläufigen Autopsiebericht zukommen lassen, deshalb könnte die Mail auch von ihr stammen. Sie enthielt einen Link zu einem Blog namens www.fangporium.com. Ich hatte den Namen noch nie gehört, aber es konnte wohl nicht schaden, sich die Website einmal anzusehen, entschied ich.
Auf den ersten Blick sah sie wie ein ganz gewöhnlicher Blog aus, doch dann stellte ich fest, dass ich mich geirrt hatte: Fangporium.com war die offizielle Website der Indianapolis Sanguinarian Society und die Plattform von Mistress Karen, Gründerin des Blutliebhaberclubs und selbst ernannte Vampirin. Vielleicht diente Karen Rea ja doch nicht nur als Cover für illegale Geschäfte…
Wie die meisten Blogs bestand www.fangporium.com aus diversen Artikeln, die öffentlich kommentiert werden konnten. Mord in unserer Gemeinschaft lautete die Überschrift des ersten Eintrags. Ich überflog ihn. Obwohl die Namen nicht erwähnt waren, lag auf der Hand, dass es um Rachel und Robbie ging. Karen behauptete, diese Morde seien der Auftakt des großen Kriegs zwischen Vampiren und Schlächtern (bei denen es sich offenbar um eine Gruppe religiöser Fanatiker handelte, deren erklärtes Ziel die radikale Auslöschung der Vampire war). Außerdem beauftragte sie ihren Stellvertreter Azrael, eine Strategie zu entwickeln, um auf den Angriff angemessen zu reagieren. Etwa fünfzig Leute hatten einen Kommentar dazu abgegeben, darunter auch Azrael, der postete, es sei ihm eine Ehre, zu Diensten zu sein, außerdem habe er bereits einen Plan ersonnen, um sich die Bedrohung vom Hals zu schaffen.
Ich druckte den Artikel aus und las ihn zwei weitere Male durch, um sicherzugehen, dass mir auch nichts entgangen war. Auf der Website fanden sich seitenweise ähnliche Kommentare, die Mehrzahl davon reichlich wahnwitzig und melodramatisch. Trotzdem hatte ich etwas Wichtiges erfahren: Azrael war lediglich ein Soldat, der Befehle entgegennahm. Karen war diejenige, die die Fäden in der Hand hielt. Und falls ihre Postings etwas über ihren Charakter aussagten, war die Frau schlicht und ergreifend verrückt– was sie in Kombination mit der scheinbaren Loyalität ihrer Anhänger zu einer brandgefährlichen Frau machte.
Mehr brauchte ich fürs Erste nicht.
Ich sah auf die Uhr auf meinem Bildschirm. Immer noch ungefähr anderthalb Stunden bis zu meinem Termin mit Mack. Ohne Hannah und Megan fühlte sich das Haus irgendwie leer an. Ich sprang unter die Dusche, zog mich an und rief Hannah noch einmal an. Wir verabredeten
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