Falsches Blut
befände ich mich in einem Tunnel. Obwohl ich mich weiter und weiter von dem brennenden Sunshine-Gebäude entfernte, wurde der orange Feuerball im Rückspiegel immer größer. Ich beschleunigte auf knapp hundertfünfzig Stundenkilometer und behielt die Geschwindigkeit bei. Nach fünf, sechs Kilometern hörte ich die Meldung des Brands über den Polizeifunk. Wenige Augenblicke später meldeten mehrere Einheiten der State Police, sie seien bereits unterwegs. Keiner sagte etwas von einem Schusswechsel oder verdächtigen Personen, also konnte ich davon ausgehen, dass ich zumindest im Moment nichts zu befürchten hatte.
Etwa fünf Minuten später bretterte der erste Streifenwagen mit heulenden Sirenen und rotierendem Blaulicht vorbei, dicht gefolgt von zwei Löschfahrzeugen, die so schnell an mir vorbeidonnerten, dass mein Wagen in ihrem Windschatten schwankte. Einen Krankenwagen sah ich nicht, was aber ohnehin nicht nötig gewesen wäre, denn falls doch noch jemand im Sunshine-Gebäude eingesperrt gewesen sein sollte, wäre er ohnehin längst bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Schließlich wichen die Sojabohnenfelder allmählich den ersten Häusern und Gärten, so dass ich den Fuß vom Gas nehmen konnte. Als ich am Ortsschild von Plainfield vorbeikam, hatte sich die Straße von zwei auf vier Fahrspuren verbreitert, und Straßenlampen erhellten die Finsternis. Ich fuhr an Autohändlern, Einkaufszentren und Restaurants vorbei, während die letzten Streifen Grün endgültig grauem Beton und Asphalt wichen.
Mein Handy gab ein Piepsen von sich, als mein Passagier eine Nummer wählte. Er flüsterte etwas hinein, dann bellte er den Namen einer Bar, deren Namen ich noch nie gehört hatte, ehe er das Bewusstsein verlor. Ich drehte mich um und nahm das Telefon wieder an mich. Eine Hand auf dem Steuer und ein Auge auf die Straße gerichtet, scrollte ich durch das Anrufverzeichnis bis zur letzten gewählten Nummer und drückte auf die grüne Taste.
» Wer zum Teufel spricht da? « , fragte ich, als am anderen Ende der Leitung abgenommen wurde.
» Wer sind Sie? « Die Stimme war tief und mit einem slawischen Akzent. Ich hatte sie bereits mehrmals auf Abhörbändern gehört. In Indianapolis gibt es keine großen Verbrechersyndikate, wie man sie in New York oder Chicago findet; stattdessen haben wir es hier mit nicht organisierten, lose miteinander verknüpften Gangs zu tun. Trotzdem kursierten immer wieder Gerüchte, dass sich zunehmend auch organisierte Größen zu etablieren versuchten. Konstantin Bukoholow, ein anscheinend schwer reicher Geschäftsmann, der seine Finger in diversen Bars und Nachtclubs in der Stadt drin hatte, versuchte hier Fuß zu fassen. Wenn es stimmte, was über ihn erzählt wurde, umfasste der illegale Teil seiner geschäftlichen Aktivitäten so ziemlich alles von Prostitution bis Auftragsmord. Das machte den Mann zum Helden unserer armen geknechteten Verbrecherklasse und zum perfekten Rollenvorbild für die hiesigen Anwälte.
» Ich bin der Typ, der Ihren Kumpel durch die Gegend kutschiert « , antwortete ich. » Der, den er abknallen wollte. «
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Auf der Hauptstraße von Plainfield waren um diese Uhrzeit längst die Gehsteige hochgeklappt, aber die Ampeln funktionierten immer noch ausnahmslos. Ich bremste und blieb stehen, als eine vor mir auf Rot sprang.
» Was wollen Sie? «
Ich sog tief den Atem durch die Nase ein und biss die Zähne zusammen. Das würde mir mein Zahnarzt nie im Leben verzeihen. » Ihre Adresse. «
Bukoholow bestätigte seine Identität zwar nicht, nannte mir jedoch die Adresse einer Bar in einem Teil der Stadt, in den ich nur selten einen Fuß setzte. Vor fünfzig Jahren musste die Gegend ein florierendes Industriegebiet gewesen sein; mittlerweile herrschte hier aber Flaute auf ganzer Linie. Bei der Mehrzahl der Gebäude handelte es sich um einstige Lagerhäuser mit kaputten Fensterscheiben und vernagelten Türen.
Kaum war ich von der Interstate abgefahren, ließ ich die Türverriegelung einrasten und schaltete das Fernlicht ein, um einen besseren Blick auf meine Umgebung zu haben. Ich sah zwei Obdachlose; einer schlief, während der andere die Dienste einer der vielen Nutten in Anspruch nahm. Wenigstens gab er sein Geld nicht für Schnaps aus.
Ich warf einen Blick auf den Kerl auf dem Rücksitz. Sein Gesicht war aschfahl, und sein Atem ging sehr flach. Ich konnte froh sein, dass er überhaupt noch lebte. Ich erwog kurz, ihn einfach irgendwo
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