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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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seinem Kopf kam nicht daher, daß er sich Gedanken machte, und was er fühlte, war keine Glückseligkeit.
    Es war vielmehr die größte Erleichterung, die er je empfunden hatte, und stumm tat er alles, was Domenico ihn zu tun hieß.
    Auf dem Weg nach Sorrent zum Hause der Contessa Lamberti überschüttete er Domenico in der dunklen Kutsche mit Küssen. Und als Domenico Tonio in die Hose faßte, als er die Narbe hinter seinem Geschlecht befühlte, wollte Tonio ihn schlagen, dann aber hielt er mitten in der Bewegung inne. Er hielt inne, weil es ausreichte, Domenicos Glied fest in beide Hände zu nehmen, wie etwas, das genau das wollte und brauchte, und ihn dann auf den Sitz niederzudrücken und noch einmal zu nehmen, während die Kutsche im schwachen Schein ihrer Laternen stetig dahinschaukelte.

    Es war sehr spät in der Nacht, als Tonio die junge blonde Frau, der er in dem leeren Speisezimmer im Hause der Contessa begegnet war, wiedersah. Diesmal war sie jedoch nicht traurig. Im Gegenteil, sie lachte beim Tanzen, unterhielt sich mit ihrem Partner. Ihre Schultern, die, obwohl sie so gerade waren, hübsch gerundet wirkten, verliehen ihr eine beinahe beschwingte Anmut. In ihrem blonden Haar steckten weiße Blumen.
    Wenn sich ihrer beider Augen begegneten, sah er jedoch weg.
    Warum mußte sie gerade heute abend auch eingeladen sein?
    Er wünschte sich, sie wäre nicht hier, dennoch konnte er nicht widerstehen, immer wieder einen Blick zu ihr hin zu werfen.
    Der Tanz war zu Ende. Ein hochgewachsener Herr mit weißer Perücke flüsterte ihr etwas ins Ohr, und wieder strahlte ihr Gesicht vor Lachen. Er hatte vergessen gehabt, daß sie einen so reizenden Nacken besaß und daß ihre Brüste ihr Mieder auf so hübsche Weise ausfüllten. Als er sah, wie der eng sit-zende blaue Stoff ihre schmale Taille umschloß, biß er unwillkürlich die Zähne zusammen. Er bildete sich ein, aus dem Stimmengewirr ringsum ihr Lachen herauszuhören.
    Er stellte sich vor, sie wären wieder irgendwo allein und ungestört und er könnte ihr erklären, daß er weder ein ungehobelter noch ein gemeiner Mensch war und niemals beabsichtigt hatte, sie zu beleidigen. Er konnte verdammt froh sein, ging es ihm durch den Kopf, daß da jetzt nicht zwei Männer waren, nämlich Lorenzo und der Vater dieses Mädchens, die danach trachteten, sich an ihm zu rächen.
    Es schien, als hätte Domenico ihn gerade in dem Augenblick ausfindig gemacht, als ihm das so richtig zu Bewußtsein gekommen war. Beim Anblick jenes strahlenden Gesichtes, das ihm jetzt so nahe war, wußte er, daß diese verwirrende Erscheinung, die auch von anderen begehrt wurde, nun ihm ge-hörte, und er spürte abermals heftige Leidenschaft in sich aufwallen. Er hätte Domenico auf der Stelle, hier auf dem blanken Boden nehmen können. Er wünschte sich nichts mehr als irgendein dunkles Zimmer und den Reiz der Gefahr, daß man sie dort entdecken könnte.
    Aber er sah das hübsche Mädchen wieder und wieder.
    Manchmal saß sie allein auf einem Gobelinsessel, die Hände in den Schoß gebettet, das Gesicht geistesabwesend und ernst.
    Einmal jedoch blickte sie auf und sah ihn direkt an. Er war ein großes Stück von ihr entfernt, aber es hatte den Anschein, als hätte sie die ganze Zeit gewußt, daß er sie beobachtete. Er konnte das dunkle Blau ihrer Augen sehen, aber anstatt sich abzuwenden, stand er wie versteinert da und wünschte sich bei Gott, daß er sie niemals gesehen hätte.

    5

    In den folgenden Wochen kam es Tonio so vor, als wisse Guido von seiner kleinen »Affäre« mit Domenico, obwohl es darauf keinen offensichtlichen Hinweis gab.
    Guido war kühl wie immer, aber die erstaunliche Geschwindigkeit, mit der Tonio Fortschritte machte, nahm ihn so in Anspruch, daß ihm weniger Zeit für unbegründete Gemeinheiten blieb. Beide waren sie stets mehrere Stunden am Tag in ihre Arbeit vertieft, denn Tonios Lehrplan hatte sich zu dem eines Studenten im letzten Studienjahr ausgewachsen.
    Zuerst hatte er zwei Stunden Gesangsunterricht, dann sang er zwei weitere Stunden vor dem Spiegel, wobei er seine Haltung und seine Gesten korrigierte, so als würde er auf der Bühne stehen. Nach dem Mittagessen widmete er sich dann den Libretti und übte seine Artikulation. Darauf folgte wieder eine Gesangsstunde. Dann ging er zu Kontrapunkt und Improvisa-tion über. Er mußte in der Lage sein, eine beliebige Melodie aufzunehmen und sie eigenständig und angemesssen auszuschmücken. Er arbeitete wie wild an der

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