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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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stets so wählerisch sein?
    Da blickte Tonio schließlich auf und sagte mit leiser Stimme:
    »Guido, ich mache das nicht.«
    Und Guido war hinausgegangen. Er wollte den Maestro bitten, die Partitur umschreiben und den ganzen letzten Akt neu gestalten zu dürfen.

    Es kam Tonio so vor, als wäre Guido eine ganze Stunde weg gewesen.
    Da war wieder dieser merkwürdige Kloß, diese Trockenheit in Tonios Hals. Es kam ihm so vor, als könne er nicht mehr singen. All die verschwommenen Erinnerungen an den Berg und an die Nacht, die er dort verbracht hatte, vermochten ihn jetzt nicht zu trösten. Er hatte Angst. Er spürte, daß er da in etwas hineingezogen wurde, das ihn vollkommen zerstören würde.
    Er hatte das Ganze falsch eingeschätzt. Wenn er schlicht und gedankenlos all das tat, was man von einem Kastraten erwartete, würde das seinen Tod und den Tod seiner Persönlichkeit bedeuten. Er würde stets gespalten sein. Stets würde er Schmerz empfinden. Schmerz und Freude, die sich in seinem Inneren vermischten und ihn einmal in diese, einmal in jene Richtung zerrten, ihn formten, ohne daß das eine das andere jemals besiegen konnte. Er würde niemals Frieden finden.

    Als Guido zurückkehrte, war er völlig niedergeschlagen. Tonio, der darauf nicht vorbereitet gewesen war, wußte sofort, daß etwas nicht stimmte.
    Guido saß lange Zeit an seinem Schreibtisch, bevor er etwas sagte.
    »Er hat die gute Partie Benedetto, seinem Schüler, gegeben«, sagte er schließlich. »Er sagt, daß du die Arie am Schluß, die ich für Paolo geschrieben habe, singen sollst.«
    Tonio wollte etwas sagen. Er wollte sagen, daß es ihm leid tat und daß er wußte, wie fürchterlich er Guido enttäuscht hatte.
    »Es ist deine Komposition, Guido«, murmelte er, »und alle werden sie hören...«
    »Aber ich wollte, daß die Leute hören, wie du sie singst. Du bist mein Schüler, ich wollte, daß sie dich hören!«

    11

    Das Pasticdo, das zu Ostern aufgeführt wurde, war ein Erfolg.
    Tonio hatte bei der Überarbeitung des Librettos mitgeholfen, hatte bei den Kostümen Hand angelegt und sich bei der Probe hinter den Kulissen bis zum Umfallen nützlich gemacht.

    Das Haus war voll besetzt. Es war das erste Mal, daß Guido jemals in einem Theater gespielt hatte. Tonio hatte ihm zu diesem Anlaß eine neue Perücke und einen eleganten burgunderfarbenen Brokatrock gekauft.
    Guido hatte die Arie für ihn umgeschrieben. Es war nun eine aria cantabile voll erlesener Zartheit und wurde Tonios wachsenden Fähigkeiten vollkommen gerecht.
    Als Tonio vor die Rampenlichter trat, wünschte er sich inständig, daß sich das altbekannte Gefühl der Verwundbarkeit in Heiterkeit verwandeln würde, daß er sich der berauschenden Schönheit um sich herum bewußt würde, der erwartungsvollen Gesichter überall und der offensichtlichen und verläßlichen Macht seiner Stimme.
    Tonio atmete langsam und ruhig durch, spürte dabei die Traurigkeit, die in der Arie lag, und fing dann, in der Erwartung, das Publikum zum Weinen zu bringen, zu singen an.
    Als er jedoch sah, daß er es tatsächlich geschafft hatte, daß die Leute vor ihm tatsächlich weinten, war er so erstaunt, daß er fast vergessen hätte, von der Bühne abzugehen.
    Das junge blonde Mädchen saß, ganz wie er vermutet hatte, ebenfalls im Publikum. Er sah, wie sie gebannt zu ihm hochstarrte. Der Triumph war fast mehr, als er ertragen konnte.
    Aber dies war Guidos Abend, Guidos Premierenvorstellung vor einem Publikum anspruchsvoller Neapolitaner, und als Tonio sah, wie sein Lehrer sich für den Beifall bedankte, vergaß er alles andere.

    Später dann, im Hause der Contessa Lamberti, sah er die blonde junge Frau wieder.
    Es war sehr voll. Die Fastenzeit war vorüber, und die Leute wollten tanzen und feiern. Da die Vorstellung im Conservatorio sehr schön gewesen war, waren alle Musiker natürlich willkommen. Tonio, der mit einem Glas in der Hand herumwan-derte, sah die junge Frau ganz zufällig, als sie durch die Tür kam. Sie hing am Arm eines sehr alten, dunkelhäutigen Herrn, doch als sich ihrer beider Blick begegnete, nickte sie Tonio zu.
    Dann mischte sie sich unter die Tanzenden.
    Natürlich war das keinem Menschen aufgefallen. Niemand hätte es für bemerkenswert gehalten. Tonio jedoch schwebte sofort wie auf Wolken. Er verschwand so schnell er konnte aus ihrer Nähe und fragte sich, plötzlich niedergeschlagen, warum sie überhaupt hier war. Sie war immerhin noch sehr jung. Sicherlich war sie nicht

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