Falsetto
Lieblingsrock aus grauem Samt, eine Gobelinweste und ein schneeweißes Spitzenhemd an, schnallte sich seinen schwersten Degen um und fuhr unverzüglich in die Via del Corso, wo er seine Kutsche seitlich an die von Christina heranfahren ließ und, so heimlich er konnte, zu ihr hineinschlüpfte.
Sie war wie ein Traum. Er umarmte sie, küßte sie stürmisch und hätte sie direkt hier in ihrer Kutsche genommen, wenn er sie dazu hätte überreden können.
Ihr Haar duftete warm nach der Morgensonne, und als sie ganz leicht blinzelte, ließen ihre dunklen Wimpern ihre entzük-kenden Augen um so durchscheinender blau erscheinen. Er berührte die Spitzen ihrer Wimpern mit seinen Fingern. Plötzlich war er ganz verliebt in ihre ein wenig vorgewölbte, volle Unterlippe.
Traurigkeit wollte ihn jedoch wieder überwältigen, und als er das spürte, hörte er auf, sie zu küssen, und hielt sie einfach nur im Arm. Er hatte sie auf seinen Schoß gezogen und den rechten Arm um sie gelegt. Ihr Haar ergoß sich in weizenblonder Flut über ihn, und ihr Gesicht nahm jetzt wieder jenen be-törenden Ausdruck an, der eine Mischung aus Unschuld und Ernsthaftigkeit darstellte. Da sagte er zum ersten Mal ihren Namen:
»Christina.« Scherzhaft versuchte er ihn zuerst so kompakt und in einem Block auszusprechen, wie die Engländer das taten und auch sie selbst. Er verzog das Gesicht, aber es wollte ihm nicht gelingen, also sprach er ihn dann nach Art der Italiener aus, rollte die Laute mit der Zunge vorne im Mund, so daß die Luft durch die einzelnen Silben strich und ihr Name dabei klang, als würde er gesungen.
Sie lachte. Es war ein sehr lebendiges Lachen.
»Du hast doch niemandem gesagt, daß ich letzte Nacht bei dir war?«, wollte er plötzlich wissen.
«Nein, aber warum sollte ich es denn nicht allen erzählen?«
fragte sie.
Der hübsche Sopran ihrer Stimme, der gleichzeitig so viel Respekt forderte, faszinierte ihn. Es war ihm fast unmöglich, ihren Worten Aufmerksamkeit zu schenken.
»Du bist jung und töricht und weißt offensichtlich nicht, wie es in der Welt zugeht«, sagte er. »Ich möchte deinem Ruf nicht geschadet haben, wenn ich dich verlasse. Das könnte ich nämlich nicht ertragen.«
»Wirst du mich denn schon so bald verlassen?« fragte sie.
Er war von der Frage wie betäubt und hätte gern gewußt, ob sein Gesicht seine Empfindungen verriet. Aber er konnte sich auf nichts anderes als auf die Tatsache konzentrieren, daß er ihr nahe war und sie in seinen Armen hielt.
»Dann will ich dich ein für allemal verscheuchen«, sagte sie,
»und dir sagen, wie egal mir die Welt ist.«
»Hmmmm...« Er bemühte sich verzweifelt, zuzuhören. Sie war jedoch viel zu reizvoll, und er empfand es als überaus köstlich, mit welcher Keckheit sie redete. Sie strahlte Entschlossenheit aus, so als wäre sie tatsächlich ein menschliches Wesen. Aber diese Kreatur, dieser Inbegriff der Sinnlichkeit, konnte ganz gewiß nicht menschlich sein. Ein solcher Liebreiz konnte un-möglich einen Verstand beherbergen.
Nein, das war Unsinn, es war nur so, daß alles an ihr so einladend war und sie dennoch mit solcher Klugheit redete. »Es ist mir gleich, was andere von mir erwarten«, erklärte sie. »Ich bin bereits verheiratet gewesen. Ich war gehorsam. Ich habe getan, was man von mir erwartete.«
»Aber du warst mit einem Mann verheiratet, der viel zu alt war, um sich noch an seine Rechte zu erinnern«, antwortete Tonio.
»Du aber bist jung, du bist nicht arm. Du kannst wieder heiraten.«
»Ich werde nicht wieder heiraten«, sagte sie, während ihre Augen ein klein wenig schmaler wurden, als Sonnenlicht durch die überhängenden Blätter blitzte. »Warum mußt ausgerechnet du so etwas zu mir sagen?« fragte sie mit echter Neugierde. »Warum fällt es dir so schwer, zu begreifen, daß ich frei sein und malen will, daß ich mein Atelier haben und so leben will, wie es mir gefällt?«
»Ach, das sagst du jetzt«, meinte er, »später aber denkst du vielleicht anders. Nichts könnte dir dann mehr schaden als Indiskretion.«
»Nein.« Sie berührte mit ihren Fingern seine Lippen. »Das ist keine Indiskretion«, sagte sie. »Ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt. Vom ersten Augenblick an, als ich dich vor Jahren zum ersten Mal sah, habe ich dich geliebt, und du wußtest das. Du hast es bereits damals gewußt.«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Du hast das geliebt, was du auf der Bühne gesehen hast, auf der Chorempore ...«
Sie
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