Falsetto
mußte fast lachen. »Ich habe dich geliebt, Tonio, und ich liebe dich jetzt«, sagte sie. »Es ist nichts Indiskretes dabei, dich zu lieben, aber es würde für mich auch keine Rolle spielen, wenn es so wäre.«
Er beugte sich vor, um sie zu küssen, glaubte ihr im Augenblick, denn als er sie im Arm hielt, spürte er, daß die Süße ihrer Jugend und ihre Unschuld zu etwas noch Stärkerem und Schönerem verschmolzen.
Trotzdem sagte er sanft: »Ich habe Angst um dich. Ich verstehe das Ganze nicht so recht.«
»Aber was gibt es denn da zu verstehen?« flüsterte sie ihm ins Ohr. »In jenen Jahren in Neapel, hast du da nicht schon von weitem gesehen, wie unglücklich ich war? Du hast mich doch die ganze Zeit beobachtet.« Sie küßte ihn und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.
»Was kann ich dir über mein Leben erzählen? Daß ich vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Dunkelheit male. Ich ma-le nachts bei schlechter Beleuchtung. Ich träume von Aufträ-
gen, von Kapellenwänden, den Wänden großer Kirchen. Immer deutlicher wird mir jedoch klar, daß mein eigentliches Interesse den Gesichtern gilt. Ich möchte Reiche und Arme porträtieren, diejenigen, die meinen Ruf als Malerin begründet haben, und andere, die ich einfach auf der Straße sehe. Ist das so schwer zu verstehen? Ein Leben wie dieses?«
Er konnte nicht aufhören, sie zu berühren, sie zu streicheln, zart ihre gekräuselten blonden Locken zurückzustreichen, nur damit sie sanft wieder nach vorn sprangen.
»Weißt du, was ich bin?« sagte sie mit einem allerliebsten Lächeln. »Ich habe an der Piazzadi Spagna solches Glück kennengelernt, daß ich richtig einfältig geworden bin.«
Er lachte.
Sehr rasch änderte sich jedoch sein Gesichtsausdruck, und Tonio wurde nachdenklich. »Einfältig«, flüsterte er.
»Ja, in gewisser Weise bin ich eine Idiotin geworden.« Sie runzelte die Stirn. »Ich will damit sagen, daß ich beim Aufstehen ans Malen denke und daß ich, wenn ich zu Bett gehe, immer noch ans Malen denke. Das einzige Problem, das ich dabei habe, ist, daß der Tag für mich zu kurz ist...«
Er verstand. In seinen schlimmsten Augenblicken, wenn er nicht mehr aufhören konnte, an Carlo und an Venedig zu denken, wenn die Mauern, die ihn umgaben, die Mauern des Palazzo Treschi zu sein schienen, wenn die Lichter, die er sah, die Lichter Venedigs zu sein schienen, dann hatte er sich nach jener Einfalt, von der sie sprach, gesehnt. Und sie stellte sich ein, trotz alledem. Guido besaß sie, diese göttliche Einfalt, denn er lebte nur für die Musik. Und in der vergangenen Woche, als Guido Tag und Nacht bis zur Erschöpfung gearbeitet hatte, hatte sein Gesicht in jener Einfalt merkwürdig ausdruckslos gewirkt.
»Und wenn da nicht meine Einsamkeit wäre, wenn mein Leben statt dessen von Liebe erfüllt wäre«, sagte sie jetzt, und ihre Stimme klang kühl und scharf, »... dann wäre es, so wie es jetzt ist, ein Geschenk Gottes.«
»Ist denn die Liebe alles, was fehlt?« flüsterte er. »Ist meine Liebe alles, was fehlt, um es zum Geschenk Gottes zu machen?«
Sie erhob sich, legte ihre Arme um seinen Nacken. Hinter ihr schimmerte golden und grün das Licht, dann folgten wieder Schatten. Er schloß die Augen, umarmte sie, hielt sie mit seinen langen, breiten Händen fest und spürte, wie zart sie war, wie weich sie war. Noch nie hatte er ein solches Glück erfahren. Er wußte, daß er dies niemals vergessen würde, ganz gleich, was danach kam.
Alles, was sie an diesem Vormittag taten, taten sie unbeschwert und rasch.
Sie fuhren zu einer Reihe von Geschäften, da Christina auf der Suche nach alten Gemälden war, um die sie dann ebenso hartnäckig feilschte, wie ein Mann es getan hätte. Sie kannte die Geschäftsinhaber und wurde in manchen Fällen schon erwartet. Selbstbewußt bahnte sie sich ihren Weg durch ein Wirrwarr von staubigen Schätzen, so als hätte sie im Augenblick vergessen, daß Tonio auch noch da war.
Diese dunklen und vollgestellten Läden begeisterten ihn. Er betrachtete alte Manuskripte, Landkarten, Degen, fand schließlich ein Bündel mit Kompositionen von Vivaldi und noch weitere alte Notenblätter, die er sofort kaufte.
Die meiste Zeit jedoch beobachtete er Christina mit äußerster Faszination, sah zu, wie die Kunsthändler mit ihr feilschten und handelten, nur um dann letztendlich doch nachzugeben und ihr die Stücke zu dem Preis zu geben, den sie bezahlen wollte. Sie kaufte Fragmente römischer Skulpturen, die ihr, wie
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