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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Richtlinien vorzugeben suchte, wie es meine Pflicht war, verließ er völlig betrunken dieses Haus, ging zu dem Kloster, in dem sie untergebracht war, und lockte sie mit Lug und Trug von dort fort!«
    Andrea war jetzt zu erregt, um weiterzusprechen.
    Tonio, der über das, was sein Vater da erzählte, entsetzt war, wollte seine Hand ausstrecken, ihn beruhigen. Es bereitete ihm körperliche Schmerzen, seinen Vater leiden zu sehen.
    Andrea seufzte. »Kannst du mit deiner zarten Jugend diesen Frevel verstehen? Es sind schon bedeutendere Männer wegen solch einer Tat verbannt, durch den ganzen Veneto gejagt oder eingekerkert worden.«
    Wieder hielt Andrea inne. Nicht einmal im Zorn fand er den Mut, diese Geschichte zu erzählen. »Und ausgerechnet einer meiner Söhne mußte so etwas tun«, sagte er. »Ich bat das Gericht um Zeit, um ihn zur Vernunft bringen zu können, und es waren nur unser Name und unsere Stellung, die ihn vor dem Zugriff des Staates schützten.
    Dann aber erschien dein Bruder mittags auf dem Broglio. Betrunken, mit wildem Blick, Obszönitäten vor sich hinmurmelnd, schwor er, daß er dieses ruinierte Mädchen auf ewig lieben würde. ›Kauf sie ins Goldene Buch ein!‹ forderte er von mir.
    ›Du bist reich genug!‹ Und dann erklärte er, während ihn alle Räte und Senatoren anstarrten: ›Gib mir deine Zustimmung, oder ich heirate sie auch ohne sie.‹
    Begreifst du das, Tonio?« Andrea war nun außer sich. »Er war mein einziger Erbe. Und wegen dieser skandalösen Verbindung versuchte er meine Erlaubnis zu erpressen! Sie ins Goldene Buch einkaufen, sie zu einer venezianischen Adeligen machen und dieser Ehe zustimmen sollte ich, sonst würde ich meinen Samen in alle Winde verstreut sehen, das Ende einer Familie erleben, die so alt war wie Venedig selbst!«
    »Vater.« Tonio konnte sich nicht mehr beherrschen, Andrea jedoch ließ sich nicht unterbrechen.
    »Der Blick ganz Venedigs ruhte auf mir«, fuhr Andrea mit zitternder Stimme fort. »Würde ich mich von meinem jüngsten Sohn zum willenlosen Werkzeug machen lassen? Meine Verwandten, meine Amtsbrüder... alle schwiegen sie entsetzt und warteten.
    Und das Mädchen... was war mit ihm? In meinem Zorn ließ ich es mir nicht nehmen, diese Frau aufzusuchen, die meinen Sohn seine Pflichten hatte vergessen lassen ...«
    Zum ersten Mal innerhalb einer Stunde sah Andrea Tonio jetzt an. Einen Augenblick lang schien es, als hätte er den Faden verloren und gerade etwas entdeckt, worauf er nicht vorbereitet gewesen war. Dann aber fuhr er fort:
    »Und was habe ich gefunden?« seufzte er. »Eine Salome, die die Sinne meines entarteten Sohnes mit einem bösen Zauber belegt hatte? Nein. Nein, sie war ein unschuldiges Kind! Ein Kind, nicht älter, als du es jetzt bist, von knabenhafter Gestalt, reizend, dunkel und wild in ihrer Unschuld, so wie die Tiere des Waldes unschuldig sind. Sie wußte nichts von dieser Welt außer dem, was er ihr zu zeigen beliebt hatte. Oh, ich hatte nicht erwartet, Mitleid mit diesem zarten Mädchen zu haben, ihre verlorene Ehre zu bedauern.
    Kannst du ermessen, welchen Zorn ich auf den Menschen hatte, der sie so unbesonnen ruiniert hatte?«
    Stummes Entsetzen packte Tonio. Er konnte nicht länger still sein. »Bitte glaub mir, Vater«, flüsterte er, »wenn ich dir versichere, daß du in mir einen gehorsamen Sohn findest.«
    Andrea nickte. Wieder ruhte sein Blick auf Tonio. »All die Jahre habe ich dich schärfer im Auge behalten, als du ahnst, mein Sohn, und meine Gebete sind bereitwilliger erhört worden, als dir bewußt sein kann.
    Dein Bruder wurde nicht eingekerkert. Er wurde nicht verbannt. Ich war es, der ihn ergreifen und auf ein Schiff nach Konstantinopel bringen ließ, daß er, solange ich lebe, seine Heimatstadt nicht wiedersehen würde.
    Ich war es, der sein Vermögen sicherstellen ließ und ihm jegliche Unterstützung versagte, bis er sich gebeugt und das Amt angenommen hatte, das ich ihm anbot.
    Und ich war es auch - ich war es, der in meinem hohen Alter noch eine Frau nahm, die mir ein Kind gebar, von dem nun der Fortbestand dieser Familie abhängt.«
    Er hielt inne. Er war müde, aber er war noch nicht fertig.
    »Eine viel strengere Strafe hätte ihm widerfahren können!« er-klärte er, während er Tonio wieder direkt ansah. »Vielleicht war es die Liebe seiner Mutter, die mich zurückhielt. Seit seiner Geburt war er ihr Augapfel gewesen, alle wußten das.«
    Andreas Augen trübten sich plötzlich, so als wäre ihm zum

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