Falsetto
ertönte Zischen, dann Rufe und Pfiffe von überall. Die Anhänger der Primadonna begannen mit den Fü-
ßen zu stampfen, schüttelten wild die Fäuste, die Anhänger des Kastraten hingegen bogen sich vor Lachen.
Als sich Caffarelli schließlich der Aufmerksamkeit eines jeden Mannes, einer jeder Frau und eines jeden Kindes im Publikum sicher war, beendete er die Burlesque mit einer flachen und nasalen Parodie der zarten kleinen Schlußkadenz der Primadonna und begann dann seine eigene aria di bravura mit einer Lautstärke, die vernichtend war.
Tonio lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Das also war es, und es war genauso, wie es alle immer gesagt hatten, ein menschliches Instrument, so kraftvoll und so tonrein gestimmt, das im Vergleich dazu alles andere wie ein matter Abglanz wirkte.
Aus allen Winkeln des Hauses erscholl Beifall, als der Sänger geendet hatte. Von den Rängen bis zum Parkett wurden Bravos gebrüllt. Die treuen Fürsprecher des Mädchen versuchten, gegen den Begeisterungssturm anzukämpfen, aber sie hatten keine Chance.
Rings um Tonio herum erhoben sich jene heiseren und ungestümen Rufe des Lobes.
»Evviva il coltellol«
Evviva il coltello, auch er rief es. »Es lebe das Messer«, das diesen Mann zum Kastraten gemacht hatte, das Messer, mit dem man seine Männlichkeit herausgeschnitten hatte, um für immer diesen herrlichen Sopran zu bewahren.
Hinterher war er ganz benommen. Es machte ihm kaum etwas aus, daß Marianna zu müde war, um noch zum Palazzo Lisani zu gehen. Diese Nacht würde auf ewig in ihm lebendig bleiben, seine Träume würden von Caffarelli beherrscht werden.
Es wäre ein vollkommener Abend gewesen, wäre da nicht die Tatsache gewesen, daß er, gerade als sie sich durch die Menge auf den Ausgang zubewegten, hörte, wie jemand hinter ihm klar und deutlich »...Carlo wie aus dem Gesicht geschnitten« sagte. Er drehte sich um, aber da waren zu viele Gesichter. Dann erkannte er, das es Catrina war, die sich mit dem alten Senator unterhielt, der jetzt zu ihm sagte: »Ja, ja, mein lieber Neffe, wir haben gerade festgestellt, daß du deinem Bruder so ähnlich siehst.«
16
Solange der Karneval dauerte, ging Tonio nun jeden Abend in die Oper, um Caffarelli singen zu hören.
Caffarelli sang keine Arie zweimal auf genau die gleiche Weise, und seine Langeweile zwischen diesen herrlichen Augenblicken schien eine Spur Verzweiflung in sich zu bergen, etwas, das mehr war als eine bloße Pose, dazu gedacht, andere zu ärgern. Seine ewige Rastlosigkeit hatte etwas Düsteres an sich, seine unablässigen Inventionen wurden aus der Verzweiflung geboren.
Immer wieder bewirkte er aus eigener Kraft eine Art Wunder: Er trat ins Rampenlicht, er breitete die Arme aus, er übernahm das Haus und schuf, wobei er die Partitur des Komponisten zunichte machte und die Musiker, die ihm hinterherhasteten, durcheinanderbrachte, allein und ohne fremde Hilfe eine Musik, die in der Tat das Herz und die Seele der Oper war.
Und obschon sie ihn vielleicht verdammten, wußten sie alle, daß sie ohne ihn nichts gewesen wären.
Der Komponist war oft außer sich, wenn der Schlußvorhang fiel. Tonio blieb meist noch eine Weile da, um ihn dann fluchen zu hören. »Sie singen nicht, was ich geschrieben habe, Sie beachten das, was ich geschrieben habe, überhaupt nicht.«
»Dann schreiben Sie doch, was ich singe!« knurrte der Neapolitaner wütend. Einmal zog Caffarelli sogar seinen Degen und jagte den Komponisten durch den Zuschauerraum.
»Haltet ihn auf, haltet ihn auf, sonst bringe ich ihn noch um!«
rief der Komponist und rannte dabei den Durchgang entlang nach hinten. Alle konnten jedoch sehen, daß er zu Tode erschrocken war.
Caffarelli lachte laut und verächtlich.
Er bot einen furchteinflößenden Anblick, als er dem Komponisten die Spitze seines Rapiers auf einen Knopf seiner Weste drückte. Nur sein bartloses Gesicht verriet, daß er ein Eunuch war.
Alle wußten jedoch, selbst der junge Mann, daß erst Caffarelli die Oper zu dem machte, was sie war.
Caffarelli stellte den Frauen von ganz Venedig nach. Im Palazzo Lisani sah man ihn zu allen möglichen Stunden kommen und gehen. Dort plauderte er dann mit den Patriziern, die sich beeilten, ihm Wein einzuschenken oder einen Stuhl zu holen.
Tonio, der immer in der Nähe war, verehrte ihn. Er lächelte, als er sah, wie eine leichte Röte die Wangen seiner Mutter überzog, als auch sie Caffarelli mit
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