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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Musiker, sie waren Eunuchen, sie verstanden einander.

    Es regnete, als er schließlich am Palazzo ankam. Er hatte gehofft, daß Tonio vor der Kirche auf ihn warten würde, aber das war nicht der Fall gewesen. Als Alessandro dann die Bibliothek neben dem Großen Salon betrat, sah er, daß Beppo immer noch ganz außer sich war. Er hatte die ganze demütigende Geschichte Angelo geklagt, der ihr lauschte, als wäre er Zeuge irgendeines Frevels, der dem Namen der Treschis angetan worden war.
    »Es ist alles Tonios Schuld«, sagte Angelo schließlich. »Er sollte diese Singerei aufgeben. Haben Sie mit der Signora gesprochen? Wenn Sie nicht mit ihr sprechen, dann werde ich es nämlich tun.«
    »Es hat nichts mit Tonio zu tun«, sagte Beppo. »Wie sollte ich denn auch wissen, daß er auf der Suche nach kastrierten Kindern war? Ich hatte keine Ahnung, daß er nach kastrierten Kindern suchte. Er hat mir gegenüber von Stimmen gesprochen, beispielhaften Stimmen. Er sagte zu mir: ›Sagen Sie mir, wo ich die .. .‹ Ach, das ist schrecklich, so schrecklich.«
    »Es ist aber auch vorbei«, meinte Alessandro ruhig.
    Er hatte gerade gehört, wie sich die Eingangstür des Palazzo geschlossen hatte. Inzwischen kannte er Carlos Schritt ganz genau.
    »Eigentlich sollte Tonio jetzt hier in der Bibliothek sein«, erklär-te Angelo entschieden, »bei seinen Studien.«
    »Aber woher sollte ich das denn wissen? Er sagte: ›Sagen Sie mir, wo ich die schönsten Stimmen finden kann!‹ Ich antwortete ihm: ›Signore, Sie sind in eine Stadt gekommen, in der Sie an jeder Ecke die schönsten Stimmen finden können, aber wenn Sie... wenn Sie.. .‹«
    »Werden Sie mit der Signora reden?« fragte Angelo und sah zu Alessandro auf.
    »Und Tonio war wunderbar, Alessandro, du weißt, daß er das war...«
    »Werden Sie mit der Signora sprechen?« Angelo schlug mit der Faust auf den Tisch.

    »Worüber soll er mit der Signora sprechen?«
    Angelo war aufgestanden. Es war Carlo, der das gesagt hatte, als er den Raum betrat.
    Alessandro bat mit einer raschen Geste um Stillschweigen. Er sah Carlo nicht an. Diesem Mann wollte er nicht das geringste bißchen Macht über Tonio geben, und so sagte er jetzt leise:
    »Tonio war mit mir auf der Piazza , obwohl er sich seinen Studien hätte widmen sollen. Es war meine Schuld, Exzellenz, vergeben Sie mir. Ich werde dafür sorgen, daß das nicht wieder vorkommt.«
    Wie erwartet, ließ das den Herrn des Hauses gleichgültig.
    »Aber worum ging es denn eben bei Ihrem Gespräch?« sagte er und zeigte dabei fast hartnäckiges Interesse.
    »Ach, um einen gräßlichen Irrtum, einen dummen Irrtum«, sagte Beppo, »und jetzt ist dieser Mann böse auf mich. Er hat mich beleidigt. Außerdem war er ganz grob zu unserem jungen Herrn, was soll ich jetzt nur zu ihm sagen?«
    Das war zuviel für Alessandro. Er hob seine Hände und zog sich mit einer Entschuldigung zurück, als Beppo begann, die ganze Geschichte in allen Einzelheiten zu erzählen. Nicht einmal den Namen des Kirchenliedes, das Tonio in der Kirche gesungen hatte, vergaß er zu erwähnen, auch nicht, wie schön sein Gesang geklungen hatte.
    Carlo gab ein kurzes Lachen von sich und wandte sich der Treppe zu. Dann hielt er, die Hand auf dem marmornen Ge-länder, plötzlich inne. Er blieb reglos stehen und wirkte dabei wie jemand, der auf einmal einen so heftigen Schmerz in der Seite verspürt, daß er sich nicht mehr bewegen kann.
    Schließlich drehte er ganz langsam den Kopf und starrte den alten Kastraten an.
    Der entrüstete Angelo las bereits wieder in seinem Buch. Der alte Eunuch stand da und schüttelte den Kopf.
    Carlo machte ein paar Schritte auf sie zu.
    »Erzählst du mir das Ganze noch einmal?« fragte er leise.

    4

    Der Himmel war perlmuttfarben. Tonio saß am Eßtisch und blickte durch das nächstgelegene Fenster, das aus mehr als vierzig einzelnen Glasscheiben bestand und dessen himmel-blauer Vorhang zurückgebunden war. Regen lief an den Scheiben herunter. Manchmal, wenn draußen jemand mit einer Laterne vorbeiging, glitzerte er golden, während der Hintergrund dunkel wurde. Sobald das Licht dann vorbeigezogen war, zeigten sich auf der anderen Seite des Wassers wieder die düsteren Häusergebilde, und der Himmel schimmerte so perlmuttfarben wie zuvor.
    Er war gerade dabei, zu einer Melodie ein paar Verse zu dichten, in denen es hieß, die Dunkelheit solle früh hereinbrechen, sie solle ihm die Türen und Straßen öffnen, so daß er dieses Haus verlassen

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