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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Mutter starrte Carlo an.
    »Sag es ihm!« sagte Carlo immer wieder. Sie aber drehte sich um und wollte das Zimmer verlassen. Carlo war jedoch schneller und packte sie am Handgelenk. »Sag es ihm.«
    Sie schüttelte den Kopf und sah Carlo dabei an, als könne sie nicht glauben, daß er ihr das antat.
    Tonio erhob sich langsam vom Tisch, damit ihn die Kerzen nicht mehr blendeten und er sie besser sehen konnte, besser sehen konnte, wie ihr Gesicht zornig wurde.
    »Sag es ihm jetzt in meiner Gegenwart!« brüllte Carlo.
    Sie jedoch schrie, als hätte sie sich von ebendieser Wut anstecken lassen: »So etwas tue ich nicht, jetzt nicht, niemals.«

    Sie begann zu zittern. Ihr Gesicht verknitterte wie das eines kleinen Kindes. Carlo packte sie plötzlich mit beiden Händen und begann sie zu schütteln.
    Tonio rührte sich nicht. Er wußte, daß er für nichts mehr garantieren konnte, wenn er es tat. Daß seine Mutter diesem Mann gehörte, stand jetzt außer Zweifel.
    Aber Carlo hatte aufgehört.
    Marianna stand da und hielt sich die Ohren zu. Dann sah sie Carlo wieder an. Ihr Mund sagte »nein«, aber ihr Gesicht war dabei so verzerrt, daß sie fast nicht mehr wiederzuerkennen war.
    Es schien, als würde wieder jenes Brüllen in Carlo aufsteigen, das wie der Schrei eines Mannes klang, der einen Tod beklag-te, den er niemals akzeptieren konnte. Er schlug ihr mit voller Kraft ins Gesicht.
    Sie taumelte mehrere Schritte rückwärts.
    »Carlo, wenn du sie noch einmal schlägst«, sagte Tonio,
    »dann ist es zwischen uns entschieden, und zwar für immer.«
    Das war das erste Mal, daß Tonio ihn beim Namen genannt hatte, aber es war nicht zu erkennen, ob Carlo das gemerkt hatte.
    Er starrte geradeaus und schien nicht zu hören, daß Marianna weinte. Sie zitterte immer heftiger und begann plötzlich zu schreien:
    »Ich werde nicht zwischen euch wählen, nein, das werde ich nicht!«
    »Sag ihm vor Gott und mir jetzt die Wahrheit!« brüllte Carlo.
    »Es reicht!« sagte Tonio. »Quäle sie nicht. Sie ist genauso hilflos wie ich. Was könnte sie mir sagen, das irgend etwas ändern würde? Daß du ihr Liebhaber bist?«
    Tonio sah sie an. Er konnte es nicht ertragen, sie so leiden zu sehen. Ihr Schmerz schien jetzt viel größer zu sein als in all den Jahren voller Einsamkeit.
    Er wünschte, er könnte sie auf irgendeine Weise, durch einen stummen Blick, durch die Färbung seiner Stimme, wissen lassen, daß er sie liebte und daß er nichts weiter von ihr erwartete.
    Er sah wieder weg, dann blickte er wieder zu dem Mann hoch, der sich ihm jetzt zugewandt hatte.
    »Es hat keinen Zweck«, sagte Tonio. »Nicht einmal euch beiden zuliebe kann ich meinem Vater zuwiderhandeln.«
    »Deinem Vater?« flüsterte Carlo. »Deinem Vater!« Er spuckte die Worte förmlich aus, dann schrie er, so als würde er sich kurz vor einem hysterischen Anfall befinden:
    »Sieh mich an, Marc Antonio!« Er trat rasch auf Tonio zu.
    »Sieh mich an. Ich bin dein Vater!«
    Tonio schloß die Augen.
    Die Stimme aber, die jetzt lauter und dünner wurde und kurz davor stand zu brechen, fuhr fort:
    »Sie hat dich bereits unter ihrem Herzen getragen, als sie in dieses Haus kam. Du bist die Frucht unserer Liebe! Ich bin dein Vater, und jetzt stehe ich hier, und man hat mir meinen unehelichen Sohn vor die Nase gesetzt. Es ist unglaublich! Du bist mein Sohn, aber man hat dich mir vor die Nase gesetzt.
    Das ist es, was sie dir sagen kann und muß!«
    Er hielt inne, die Stimme erstarb ihm in der Kehle.

Als Tonio die Augen öffnete, sah er durch seinen Tränen-schleier, daß Carlos Gesicht voller Qual war und daß Marianna neben ihm stand und ihm den Mund zuhielt. Carlo stieß sie heftig von sich, so daß sie rückwärts taumelte.
    »Er hat mir meine Frau genommen«, rief Carlo. »Er hat mir meinen Sohn genommen, dieses Haus hat er mir genommen, Venedig und meine Jugend, und ich sage dir, er wird nicht länger die Oberhand haben! Sieh mich an, Tonio, sieh mich an! Unterwirf dich mir! Sonst kann ich, so wahr mir Gott helfe, nicht mehr für deine Sicherheit garantieren!«
    Tonio schauderte.
    Es war, als würden ihm diese Worte einen körperlichen Schlag versetzen, dennoch waren sie so rasch verklungen, daß er sich kaum mehr an sie, an ihre genaue Bedeutung, erinnern konnte. Da war nur ein unbarmherziges, gedämpftes Hämmern.
    Überall im Zimmer ringsum schien sich Traurigkeit zu verbrei-ten. Sie war wie eine große Wolke, die an tödlicher Kraft gewann, sie hüllte ihn ein wie

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