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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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er seinen Mund. In der blauen Nacht tauchten immer wieder kleine Häuser auf. Ihre Bewohner, die an offenen Türen saßen, erhoben sich beim Anblick der da-hinzuckelnden Laterne, nur um sich dann wieder niederzuset-zen, wenn der Kutscher die Pferde mit der Peitsche vorwärtstrieb.
    Der Aufstieg wurde jedoch immer steiler und schwieriger.
    Schließlich kamen sie an eine Stelle, an der die Pferde nicht mehr weiterkonnten. Unter einem Gewirr von Olivenbäumen kamen sie zum Stehen. Weit unten konnte Tonio den großen glitzernden Halbmond Neapels erkennen.
    Da ertönte ein schwaches Brüllen, so diffus und alarmierend, daß Tonio plötzlich merkte, wie er sich an seinem Sitz fest-klammerte. Der Himmel wurde plötzlich hell, es war eine riesige Rauchsäule zu sehen, die von einem grellen Blitz genau in zwei Teile geteilt wurde, während das Grollen zu einem ohrenbetäubenden Röhren anschwoll.
    Tonio sprang von der Kalesche hinunter und befahl dem Kutscher, er solle umkehren. Dieser schien ihn jedoch nicht allein lassen zu wollen. Als Tonio sich zu entfernen versuchte, tauchten aus dem Gestrüpp am felsigen Abhang zwei dunkle Gestalten auf. Es waren Führer, die die Leute bei Tag zum Bergkegel hinaufbrachten, und sie waren bereit, Tonio jetzt ins Schlepptau zu nehmen.
    Der Fahrer wollte ihn jedoch nicht gehen lassen, auch einer der beiden Führer schien zu zögern. Bevor jedoch eine Diskussion aufkommen konnte, bezahlte Tonio einen der Männer.
    Dann packte er den Lederriemen, der hinten am Gürtel des Führers befestigt war, verwendete den Stock, den man ihm anbot, als Krücke, und ließ sich, so abgesichert, in die Dunkelheit hinaufziehen.
    Ein weiteres Röhren brach aus der Erde hervor. Wieder war ein Lichtblitz zu sehen. Die verstreut wachsenden Bäume wurden taghell erleuchtet, mittendrin war weiter oben ein kleines Haus zu erkennen. Wieder tauchte eine Gestalt auf, gerade als die Luft von einem Hagel aus kleinen Steinen erfüllt wurde, die ringsum mit dumpfen Schlägen zu Boden prasselten. Tonio wurde von einem Felsstück an der Schulter getroffen, aber nicht verletzt. Er rief dem Führer zu, er solle weitergehen.
    Der Mann, der gerade eben erschienen war, ruderte mit den Armen.
    »Sie können nicht höher hinaufsteigen!« erklärte er. Als er näher herankam, konnte Tonio ihn im Mondlicht genauer sehen. Er hatte ein hageres Gesicht und hervorquellende Augen, so als würde er an irgendeiner auszehrenden Krankheit leiden.
    »Steigen Sie wieder hinunter. Sehen Sie denn nicht, daß Sie in Gefahr sind?« rief er ihnen zu.
    »Gehen Sie weiter«, sagte Tonio zu seinem Führer.
    Der Führer aber war stehengeblieben.
    Da deutete der Mann auf einen großen Hügel, der vor ihm auf-ragte.
    »Letzte Nacht war das noch ein Wäldchen so flach wie dieses hier«, sagte er. »Ich habe gesehen, wie es sich in wenigen Stunden zu diesem Hügel aufgeworfen hat. Ich sage Ihnen, Sie spielen mit Ihrem Leben, wenn Sie höher hinaufsteigen.«
    Er duckte sich, als es wieder Steine regnete. Diesmal fühlte Tonio, wie ihm Blut über die Wange lief, obwohl er den Stein, der ihn getroffen hatte, weder gehört noch gespürt hatte.
    »Gehen Sie weiter«, sagte er zu dem Führer.
    Der Führer grub seinen Stab in den Boden. Er zog Tonio noch ein paar Meter weiter den Hang hinauf, dann hielt er an. Er gestikulierte, aber bei dem Lärm, den der Berg machte, konnte Tonio nicht verstehen, was er sagte. Wieder rief er ihm zu, weiterzugehen, sah aber jetzt, daß der Mann am Ende seiner Kräfte war und ihn nichts dazu bewegen würde, weiter hinaufzusteigen. Der Führer flehte Tonio auf neapolitanisch an, stehenzubleiben. Als Tonio daraufhin die Lederschlinge losließ und begann, auf Händen und Füßen weiterzuklettern und dabei die Finger in die Erde grub, rief ihm der Mann auf Italienisch zu:
    »Signore, heute nacht spuckt der Vulkan Lava. Sehen Sie doch nach oben. Sie können nicht weitergehen!«
    Tonio lag auf dem Boden, hatte den rechten Arm über die Augen gelegt und hielt sich die linke Hand vor den Mund. Durch den Schleier von Ascheteilchen, die in der Luft hingen, konnte er verschwommen einen schwach schimmernden Strom aus Lava sehen, der den Hang zu seiner Rechten hinunterströmte und im Wust des Unterholzes verschwand. Tonio starrte den Lavastrom an, ohne sich zu rühren. Von oben her kam jetzt noch mehr Asche, dann hagelte es wieder Steine. Tonio schützte seinen Kopf mit beiden Händen.
    »Signore!« schrie der Führer.
    »Kehren Sie um!« rief

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