Familien Saga Bd. 3 - Zauber der Savanne
nicht. Die Miete, die Ricky ihr bezahlte, war deshalb für Berliner Verhältnisse geradezu lächerlich, auch wenn sie der alten Dame mehr zu zahlen hatte, als die Familie Zille von ihr verlangt hatte. Anfangs hatte sie deswegen ein schlechtes Gewissen gehabt, da Frau Teitelbaum über nicht sehr große Ersparnisse verfügte. Doch mit der Zeit fand sie selbst heraus, dass die alte Dame offenkundig viel Vergnügen an ihrem Vorspielen fand. » Wenn Sie spielen, liebes Kind«, hatte sie schmunzelnd gemeint, » dann spar ich mir doch die teuren Konzertkarten. Was will eine alte Frau denn mehr?« Nach ihrem Unfall hatte Ricky allerdings nie wieder gesungen. Doch genau das sollte sich heute ändern.
» Ist es nicht wunderbar?«, strahlte Frau Teitelbaum. » Fräulein van Houten wird uns endlich mal wieder etwas vorsingen.«
Valentin hob überrascht eine Augenbraue. Er war immer noch ein bisschen gekränkt, weil Ricky ihn so angefahren hatte. Deshalb hatte er sich vorgenommen, ihr gegenüber zumindest heute deutlich reserviert aufzutreten.
» Nun sieh mich nicht so an«, meinte sie plötzlich verlegen. Anscheinend tat ihr ihre Unbeherrschtheit längst selber leid. Valentin ließ sie noch etwas schmoren und hielt sich zurück. » Ich hab mir eben gedacht, dass es endlich wieder an der Zeit ist, an alte Gepflogenheiten anzuknüpfen«, fuhr sie unsicher fort. » Wirst du mich begleiten?« Ihre Bitte kam schon fast schüchtern.
Valentins Widerstand begann zu bröckeln. Die Art, wie Ricky ihn ansah, eine Mischung aus Koketterie und Verlegenheit, berührte ihn und machte ihm wieder mal schmerzlich deutlich, wie viel ihm an ihr lag. Ganz leicht wollte er es ihr jedoch nicht machen.
» Ich weiß nicht«, meinte er deshalb zögernd.
» Ach, bitte.« Sie versuchte es mit einem bezaubernden Augenaufschlag.
» Ich bin heute nicht in der Stimmung«, zierte er sich. » Spiel allein.«
» Du bist böse, weil ich mich neulich so scheußlich benommen habe«, räumte sie endlich ein. Er sah, dass ihr die Entschuldigung nicht leichtfiel. » Kann ich dich umstimmen, wenn ich mich bei dir entschuldige? Es tut mir wirklich leid.«
Valentin wiegte den Kopf, so als müsse er es sich noch genau überlegen, dann erst lenkte er ein. Ihm war gerade eine Idee gekommen. So ganz ungeschoren würde Ricky heute nicht davonkommen.
» Also gut! Allerdings bestimme ich, welches Lied du singen wirst. Du musst es vortragen, auch wenn es dir vielleicht nicht in den Kram passt.«
Ricky stutzte kurz, war aber rasch einverstanden. Mit einem süffisanten Lächeln setzte sich Valentin ans Klavier und begann die Anfangstakte eines Liedes anzustimmen, mit dem die Kabarettistin Claire Waldoff gerne auftrat. Ricky schnappte tatsächlich einen Augenblick empört nach Luft, als sie es erkannte. Sie biss sich kurz auf die Lippen, aber dann erschien plötzlich ein schelmisches Lächeln auf ihrem Gesicht, und sie setzte mit dem Refrain ein:
» Nach meine Beene ist ja janz Berlin verrückt.
Mit meine Beene hab’ ick manches Herz jeknickt.
Und zeig’ ick meine Beene voller Intell’jenz,
Da schlag’ ick aus dem Felde jede Konkurrenz.
Das Lied verlangte, dass sie in irgendeiner Weise ihre Beine einsetzte oder zumindest zeigte. Da mit ihnen im Moment jedoch kein Staat zu machen war, benutzte sie – eine spontane Eingebung – ihre Stöcke, als wären es ihre Beine. Wie bei einem Cancan hob sie die Stöcke abwechselnd in die Luft. Dann intonierte sie die dritte Strophe des Couplets.
Studenten, Leutnants, Assessoren,
Die gucken stets nach meine Beene hin.
Selbst mein Kapellmeister sagt unverfroren:
» In deine Beene liegt Musike drin.«
Wenn meine Schritte ick mal zum Zoo hin lenke,
Grüßt voller Freude laut der Elefant,
Selbst alle Affen machen gleich Menkenke,
Sie winken durch det Gitter mit der Hand.
Und neulich blieb ich lachend steh’n,
Det hätten Sie mal sollen seh’n.
Da kam schon gleich der Wärter ran,
Und wütend schrie der olle Mann:
» Nach Ihre Beene ist ja janz Berlin verrückt,
Die janzen Affenherzen sind total jeknickt.«
Drauf sagt’ ich immer wieder voller Seelenruh:
» Sie oller Lulatsch, leg’n Se man Ihr Herz noch zu.«
Ricky sang nicht einfach die Melodie. Sie lebte sie, indem sie das etwas derb wirkende Lied durch ihre Mimik zum Leben erweckte. Grimassen schneidend imitierte sie Elefanten, Affen und auch den dämlichen Wärter. Durch die staksig schwingenden Stöcke, die ihre lahmen Beine ersetzten, nahm sie sich immer
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