Familien Saga Bd. 3 - Zauber der Savanne
mischte sich ein. » Anitas Leben ist so verschwenderisch wie die Inflation«, erklärte sie ihr augenzwinkernd. Und an die Berber gewandt meinte sie: » Aber pass nur auf, meine Schöne, irgendwann rückt die Bank kein Geld mehr raus – und dann hast du nichts mehr zuzugeben.«
» Und wenn schon. Wen kümmert der Untergang, wenn er doch noch bevorsteht?«
Jetzt lachten alle, die Berber am meisten.
Die hemmungslose Atmosphäre in der Pyramide war für Ricky neu und völlig ungewohnt. Gewöhnliche gesellschaftliche Regeln spielten hier keine Rolle. Es wurde provoziert und einander geärgert, als wäre es ein Spiel, Konventionen jeder Art bewusst zu brechen. Diese Schrankenlosigkeit faszinierte sie einerseits, andererseits fühlte sie sich davon abgestoßen. Normalerweise fiel es ihr leicht, sich in fremden Gesellschaften zurechtzufinden, doch hier fühlte sie sich wie ein Fremdkörper. Ihr fehlte das sichere Parkett bekannter Regeln. In der Pyramide konnte sich jeder geben, wie er wollte. Das mochte für Lesbierinnen wie Claire und ihre Freunde sehr befreiend sein, doch ihr fiel es schwer, auf diese Leichtigkeit einzugehen. Das war für sie eine neue Erfahrung. Ihre schlagfertige Entgegnung am Anfang ihrer Unterhaltung mit der Berber war mehr oder weniger ein Glücksfall gewesen. In der nun folgenden Unterhaltung kam sie sich jedoch völlig einfallslos und langweilig vor. Notgedrungen beschränkte sie sich im Folgenden darauf, dem lockeren Gespräch der Frauen als stumme Zuhörerin zu lauschen. Offenbar bin ich doch viel biederer, als mir bewusst war, dachte sie leicht frustriert. Dabei hatte sie sich so auf die Bekanntschaft mit der großen Berber gefreut. Sie hatte sie bewundert und lange als ihr großes Vorbild gesehen, doch je länger sie sie beobachtete, desto mehr tat ihr die Frau leid. Sie wirkte haltlos und verloren, wie ein Blatt im wirbelnden Wind.
» Kommst du mit?«, unterbrach Olga ihre Gedanken. » Wir gehen noch in die Zauberflöte. Dort wird heute amerikanisch getanzt.« Ricky war etwas unentschlossen. Ihre Laune war angesichts ihrer neuen Erkenntnis nicht besonders gut, doch Claire hakte sich bei ihr unter und zog sie einfach mit sich. » Nur noch ein klein bisschen«, meinte sie übermütig. » Bis uns die Sonne hinter den Kaminen zuzwinkert …«
Die Zauberflöte war eines der größeren Tanzlokale mit mehreren Sälen. Im Hauptsaal spielte an diesem Abend ein großes Orchester auf. Dementsprechend herrschte dichtes Gedränge. Auf der großen Tanzfläche tummelten sich Dutzende von Paaren und verrenkten auf beinahe groteske Art ihre Glieder. Kaum hatten die drei den Saal betreten, winkte ein Freund von Claire sie an seinen Tisch. Dort saß eine lustige gemischte Runde beieinander, die sie launig aufnahm. Rickys Laune besserte sich schnell. Endlich wieder ein Parkett, auf dem sie sich sicher fühlte. Die Atmosphäre war locker und ungezwungen, die Gespräche leicht und amüsant. Als ihr Tischnachbar, ein junger schlaksiger Maler, sie zum Tanzen aufforderte, folgte sie ihm gut gelaunt auf die Tanzfläche. Das Orchester spielte gerade einen Shimmy. Dieser Modetanz, der mit der Jazzmusik vor einigen Jahren von Amerika nach Deutschland gelangt war, sah sehr komisch aus. Es konnten mehrere Leute miteinander tanzen, dabei blieb man meistens auf einer Stelle und schüttelte wild den ganzen Körper durch, beugte sich vor und zurück und machte dabei möglichst X-Beine. Ricky versuchte sich an dem neuen Tanz und hatte schnell die Schrittfolge heraus. Der junge Maler stand jedoch wie ein Trottel auf der Tanzfläche und machte eine so hilflose Figur, dass sie sich schließlich beide vor Lachen ausschütteten. Den darauf folgenden Quickstepp und den Slowfox beherrschte er zum Glück um einiges besser. Sie tanzten zwei Runden lang, bis Ricky in ihrem Knöchel Schmerzen verspürte. Sie brach den Tanz sofort ab, um die nächste Vorstellung nicht zu gefährden. Der Maler brachte sie zurück an ihren Tisch, der mittlerweile etwas verwaist war. Eine Weile lang unterhielten sie sich miteinander, dann verabschiedete sie sich. Sie hatte ohnehin ein schlechtes Gewissen – wegen Valentin. Claire und Olga winkte sie aus der Ferne zu und verließ das Tanzlokal. Die frische, kühle Nachtluft tat ihr gut. Sie sah sich nach einem Taxi um. Leider war im Moment weit und breit keines zu sehen. Ricky überlegte, zur nächsten Straßenbahnhaltestelle zu gehen, aber ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass bereits Betriebsschluss
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