Familienalbum
keine Eile, hatte den Gedanken aber vermutlich im Hinterkopf. Als ich Charles in der Bücherei von Highgate begegnet bin, dachte ich keine Sekunde ans Heiraten. Mummy hatte mich hingeschickt, damit ich ihr einige Bücher hole, und Charles war da und half mir ein Buch suchen, das sie haben wollte, dann haben wir einen Kaffee miteinander getrunken, und er war mir sehr sympathisch, deshalb habe ich ihn gefragt, ob er zu einer kleinen Party kommen wolle, die meine Eltern gaben, und von da an ergab sich alles wie von selbst.
Ich hatte keine Ahnung von Verhütung, das war damals so, und als wir dann verheiratet waren, habe ich mich nicht darum gekümmert, und später war es nicht mehr nötig. Außerdem hat mir die Vorstellung nie behagt – irgendwie bringt man damit Babys um, nicht wahr, da muss man den Katholiken schon recht geben. Also habe ich mir einfach keine Gedanken gemacht, und so ist es wohl nicht überraschend, dass Paul – na, sozusagen ein bisschen verfrüht in Angriff genommen wurde.
Wir hätten sowieso geheiratet. Auf alle Fälle.
Dass Allersmead ideal wäre, wusste ich auf den ersten Blick. Ein wirklich wunderbares Zuhause für eine Familie, das nur auf uns gewartet hatte. Natürlich war es ein bisschen teuer, aber so teuer auch wieder nicht, und wir wollten ja auch kein Luxusleben führen, wie es heutzutage üblich ist, die Autos, die man draußen parken sieht, und Ingrid sagt, die fahren im Urlaub alle in die Karibik oder auf die Seychellen, keine Rede mehr von Devon oder Cornwall. Ingrid unterhält sich manchmal mit den Kindermädchen, die offenbar einen Haufen Geld verdienen.
Und Allersmead war auch genau das Richtige. Viel Platz für alle und der Garten zum Spielen – und später für Ingrid und ihr Gemüse. Charles hatte sein Arbeitszimmer, und die Küche war ideal für so viele Kinder und ist es seit Jahren für die Kochkurse. Heute geistern wir darin wohl ein bisschen verloren herum, aber ab und zu kommt eins der Kinder zu Besuch, und natürlich steckt das ganze Haus voller Erinnerungen . Für mich sind immer noch alle da.
Paul ist tatsächlich da, wie so oft natürlich. Bei ihm ist oft etwas schiefgelaufen, und dann kommt er nach Hause, um eine Art Pause einzulegen und sich umzusehen. Die Arbeit im Gartencenter soll ihm momentan nur über die Runden helfen, während er überlegt, was er wirklich machen will. Irgendwann stößt er schon auf etwas, was er wirklich gut kann – er hatte so viel Pech, ist bei den falschen Jobs gelandet und, ehrlich gesagt, manchmal auch bei den falschen Leuten, schon damals, als er noch sehr jung war und ihn jemand verführt hat, Drogen zu nehmen – von sich aus wäre er da nie hineingerutscht. Paul war immer ein Sorgenkind, und natürlich ist er der Älteste, und da empfindet man wohl besonders stark … ja, er war schon mein Lieblingskind.
Aber man liebt sie alle, und bei sechsen schmiert man die Liebe nicht dünner aufs Brot, sondern es gibt irgendwie einfach mehr davon. Wenn sie klein sind, erwidern sie diese Liebe, aber später merkt man natürlich nicht mehr viel davon, selbst wenn sie einen immer noch lieben, und darauf muss man einfach gefasst sein, von sechzehnjährigen Jungen kann man keine Zeichen der Zuneigung erwarten. Das heißt nicht, dass Roger nicht immer ein sehr netter Junge gewesen wäre. Und Mädchen gehen ihren eigenen Weg, man kann sagen, was man will, sie lassen sich keinen Fingerbreit davon abbringen, Gina ist auf und davon zu diesem College, Sandra wusste immer genau, was sie wollte, war schon mit acht verrückt nach Kleidern, und Clare hatte nichts im Kopf als tanzen, tanzen, tanzen.
Man hat sein Bestes getan, und wenigstens war man immer für sie da, sie hatten eine Mutter, ein Zuhause, und das zählt. Ich meine, so viele Kinder haben das nicht – da fragt man sich doch, was sich die Leute denken, die jetzt hier wohnen, mit den Autos und den Kindermädchen. Allersmead war ein richtiges Zuhause, ich war immer da, ich habe auf sie gewartet, wenn sie von der Schule nach Hause kamen, und dann stand ein Kuchen für sie da. Kinder brauchen Sicherheit, oder nicht?
Diese jungen Frauen aus dem Mütterkurs haben dauernd von ihren Partnern und von Arbeitsteilung geredet. Ich habe von Charles nie erwartet, dass er viel macht, und das war ihm nur recht, nur manchmal ein bisschen Hilfe mit den Hausaufgaben, als sie älter waren – und die Diskussionen mit Gina, das würde man heute wohl auch Erziehungsarbeit nennen. Ich will nicht behaupten,
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