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Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Lively
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ihr nicht viel lag – warum zum Teufel hat sie das getan? Alles im Trüben.
    Aber sie kennt noch eine andere Sorte von Trübung – die Zeiten, die sich irgendwie in Nebel aufgelöst haben, Zeiträume, in die man hineinspäht, nur einen Teil der Ereignisse erkennt und nach dem Rest tasten muss.
    *
    Sie ist in der Eingangshalle, albert herum, schneidet Grimassen und betrachtet sich dabei im Spiegel über dem Tisch. Außer ihr ist niemand hier, ausnahmsweise; in Allersmead ist man selten allein. Sie hört Stimmen oben – Roger und Katie, dazu von Zeit zu Zeit Clares hohe Stimme. Die anderen sind vielleicht ausgegangen. Ingrid hat vor einiger Zeit das Haus verlassen, ebenfalls etwas Ungewöhnliches. Sie benimmt sich in letzter Zeit ganz schön komisch.
    Die Tür zu Dads Arbeitszimmer ist nur angelehnt, und jetzt hört Gina auch dort Stimmen. Dad sagt etwas, und Mum fällt ihm ins Wort, deutlich hörbar und in jener Tonlage, die inneren Aufruhr signalisiert.
    »Du musst mit ihr reden.«
    Dads Antwort dringt nicht zu Gina durch.
    Wieder Mum, schrill: »Wenn sie geht, dann weiß der Himmel, was … Auf keinen Fall darf sie Clare mitnehmen.«
    Gina ist mäßig interessiert. Clare mitnehmen – wohin und warum?
    Dad sagt: »Ich bezweifle, dass wir das Recht haben, sie daran zu hindern.«
    Mum gefährlich laut: »Ist dir das etwa egal ?«
    Von Dad kommt nichts. Schweigen.
    Mum ist jetzt ruhiger, aber auf andere Art gefährlich: »Wir sind hier eine Familie. Clare gehört dazu. Und verantwortlich für die Situation bist einzig und allein du. Oder?«
    Dad sagt: »Kaum wahrscheinlich, dass ich das jemals vergessen werde.«
    Mum ist nicht mehr vernehmbar. Man hört nur, dass geredet wird, ab und zu sticht ein Wort hervor: »… verletzt … Schock … jung …«
    Wieder Schweigen. Dann sagt Dad: »So ist es. Eine Verirrung, für die ich teuer bezahlt habe.«
    Eine was? Und was hat Dad bezahlt? Gina ist nun ganz Ohr und verfolgt nicht nur aufmerksam, was gesagt wird, sondern nimmt nun auch die Spannung wahr, das seltsame Benehmen der Erwachsenen. Wieso reden die so miteinander?
    Ein Dielenbrett knarzt. Schritte im Arbeitszimmer. Als ihr Vater die Tür öffnet, schlüpft Gina blitzschnell in die Küche, gerade noch rechtzeitig.
    *
    Radio Swindon scheint in weiter Ferne. Gina ist nun nicht gerade prominent, aber vielen würde ihr Gesicht vage bekannt vorkommen. In den Tagen von Radio Swindon war sie das Mädchen mit dem Mikro, das Stadträten, Geschäftsleuten und Passanten auflauerte und sie höflich, aber hartnäckig ausfragte; jetzt stützt sie sich auf die Autorität des Senders, hat ihr Team dabei und lässt sich nicht mehr so leicht beiseiteschieben. Aber im Grunde fühlt sie sich noch genauso wie damals und spielt dasselbe Spiel. Man drängt sich hinein, wo man möglicherweise unerwünscht ist, stellt Leuten Fragen, die sie vielleicht nicht beantworten wollen, man informiert, enthüllt, übermittelt. Eine ganz schön perverse Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, denkt sie manchmal.
    Das Programm stand schon früh fest, meint Gina heute: das Bedürfnis, Fragen zu stellen, nachzuforschen, eine gewisse Streitlust. An diesem Bildungsminister hat sie sich vielleicht die Zähne gewetzt. Sie erinnert sich an den köstlichen Schauer der Entrüstung, der sie in Gegenwart dieses herablassenden Mannes überlief, ein Mann, der aus seinem Amt Macht bezog, der die ohnmächtigen Jugendlichen einschüchterte. Ich bin vielleicht jung, hatte sie gedacht, aber ich kann doch ein, zwei Meinungen ins Feld schicken.
    Sie hatte überlegt, ob sie in die Politik gegen sollte, war dann aber wieder davon abgekommen, als sie sah, wie eigennützig Politiker sind, aalglatte Redeprofis. Entweder kämpfte man sich mit den Ellbogen nach oben, oder man saß seine Zeit als meckernder Hinterbänkler ab.
    Radio Swindon mag in ferner Vergangenheit liegen, aber Gina betrachtet diese Zeit als einen Höhepunkt ihrer Laufbahn. Damals wurde ihr klar, was sie wollte, was sie tun würde. Sie liebte die unwägbare Natur des Interviews, die Unberechenbarkeit. Den Hundertjährigen, der plötzlich zu fluchen anfing und dem Studioredakteur einige Nüsse zu knacken gab, die gefährlichen Untiefen der sogenannten Stimme des Volkes, die einen selbst in Swindon verblüffen konnten.
    *
    Vor einer Grundschule befragt sie die wartenden Mütter, wie groß eine Familie ihrer Ansicht nach sein sollte. Ein Erziehungsguru hatte kürzlich als ideale Kinderzahl zwei genannt,

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