Familienaufstellungen
steht ihr mit sehnsüchtigem Blick gegenüber, eine Hand streckt sie nach der Tochter aus, mit der anderen weist sie die Tochter zurück.
Sonjas Gesicht sagt: »Ich will meine Freiheit.«
Ihr Körper sagt: »Ich lasse mich nicht mehr verletzen.«
Ihre Hand: »Mama, ich brauche dich.«
Mutters Augen sagen: »Ich brauche dich.«
Mutters Haltung sagt: »Bitte fordere nichts von mir.«
Mutters eine Hand sagt: »Komm her.«
Mutters andere Hand sagt: »Bleib weg.« Über die Skulptur spürt Sonja die unterschiedlichen Impulse und die Erwartungen beider Frauen. Sie nimmt wahr, wie doppeldeutig sie beide kommunizieren. Sie spricht in der Skulptur aus, wie sehr sie sich wünscht, dass ihre Mutter sie in den Arm nimmt. Das kleine Mädchen in ihr sehnt sich nach der Mama. Und sie spürt die Lebenslust der erwachsenen Frau in sich, die sich frei entfalten will. Als sie in der Skulptur auch die Haltung der Mutter einnimmt, spürt sie, wie diese genauso hin- und hergerissen ist: Einerseits freut sie sich auf die Tochter, andererseits ist sie aber froh, wenn sie sich um die erwachsene Tochter nicht mehr so kümmern muss wie früher. Jetzt, da Sonja diese doppelten Botschaften für sich auseinanderdividieren kann, wird es ihr leichter fallen zu entscheiden, welche sie aussenden und auf welche sie reagieren will. Und sie weiß, dass sie lernen möchte, dies anzusprechen, wenn sie wieder zweideutige Aufforderungen von ihrer Mutter wahrnimmt.
Mit allen Sinnen wahrnehmen
Virginia Satir beobachtete, dass Menschen Informationen über ganz unterschiedliche Wahrnehmungskanäle aufnehmen. Es gibt Menschen, die ihre Umwelt vorrangig über das Sehen wahrnehmen. Ihnen entgeht kein Reklameschild, keine Aufschrift, wenn sie durch die Straßen gehen. Zeitungen und bewegte Bilder ziehen sie magisch an. Andere Menschen sind ausgesprochene Hörer. Sie lieben Musik, fürchten sich aber vor Lärm, da ihre Ohren höchst sensibel jegliche Schwingungen verarbeiten und ins Bewusstsein vordringen lassen. Wieder andere sind Gefühlstypen. Sie nehmen ihre Umwelt über Körperkontakt, Raumwahrnehmung und atmosphärische Schwingungen wahr. Sie müssen die Dinge im wahrsten Sinne des Wortes begreifen, um sie sich merken zu können.
Auch wenn wir mit allen Sinnen ausgestattet sind, haben wir diese im Laufe unseres Lebens unterschiedlich geschult. In der westlichen Welt beispielsweise werden wir von klein auf mit visuellen Reizen übersättigt. In Kulturen, in denen viel getanzt wird, bildet sich derkinästhetische Kanal stärker aus. Wer täglich acht Stunden am PC arbeitet, hat seinen visuellen Sinneskanal geschärft, möglicherweise sind aber seine kinästhetischen Fähigkeiten, d.h., die Umwelt über den Tastsinn oder über Intuition wahrzunehmen, wenig entwickelt. Ein Musiker ist auf akustische Reize geeicht, es braucht ihn aber keiner fragen, ob sich während seiner Abwesenheit an der Wohnungseinrichtung etwas verändert hat.
Nur bei wenigen Menschen sind alle Sinne in gleicher Weise entwickelt. Diesen Umstand haben Familientherapeuten besonders in der Paartherapie zu beachten, da viele Missverständnisse in Partnerschaften auf eine unterschiedliche Wahrnehmung zurückgehen.
▶▶ Beispiel
:
Monika kehrt abends von einer Geschäftsreise zurück. Ihr Mann Paul hat sich an diesem Tag um ihre gemeinsamen Kinder gekümmert und den Haushalt versorgt. Paul freut sich auf Monika. »Wisst ihr was, wir überraschen die Mama und kochen zusammen was Gutes.« Die Kinder sind glücklich, weil sie mit Papa Teig kneten und Gemüse schneiden dürfen. Bald schon duftet die Wohnung nach selbst gebackener Pizza. Monika kehrt freudestrahlend mit einem Blumenstrauß zurück. Doch als sie die Küche betritt, traut sie ihren Augen nicht. Sie sieht das überall verteilte Mehl, auf der gepolsterten Eckbank kleben Teigreste. »Wie sieht’s denn hier aus?«, ruft sie entgeistert. Paul, der gerade Monika in den Arm nehmen wollte, schaut sie fassungslos an.
Was ist hier nur passiert? Beide haben sich aufeinander gefreut, dem Moment des Wiedersehens entgegengefiebert und sind jetzt enttäuscht und ratlos, wieso ihre Bemühungen so danebengegangen sind.
Ihnen ist beim Lesen sicherlich aufgefallen, dass Paul und Monika ihre Umwelt über unterschiedliche Sinneskanäle wahrnehmen. Paul ist vor allem kinästhetisch veranlagt. Er wollte Monika mit seiner Hände Arbeit erfreuen und sie mit gut gelaunten Kindern empfangen. Monika ist stark visuell geprägt. Für sie
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