Familienaufstellungen
stehende: »Mama, schau her!«
Die Rollenspieler bzw. Familienmitglieder wiederholen ihren Satz mit entsprechendem Tonfall mehrmals nacheinander und lassen alle entstehenden Eindrücke auf sich wirken.
Nun geschieht etwas, das jemanden, der zum ersten Mal eine Skulptur sieht, vollkommen verblüfft. Familienfremde Rollenspieler nehmen über ihre Haltung und ihren Satz, über die Nähe bzw. Distanz zu den anderen und deren Worten, das innere Erleben der ursprünglichen Familienmitglieder wahr. Sie können oft genau beschreiben, wie sich diese Person in diesem Familiensystem erlebt. Sie sprechen Wünsche und Sehnsüchte aus, die die ursprünglichen Personen tief in sich spüren, aber sich oft lange schon nicht mehr auszusprechen trauen. Übernehmen die Familienmitglieder ihre eigenen Rollen, spüren sie ebenfalls ihr Unbehagen in ungewohnter Deutlichkeit.
Bis heute gibt es für dieses Übertragungsphänomen noch keine wissenschaftliche Erklärung. Am ehesten greifen meines Erachtens Überlegungen, dass wir Menschen über Spiegelneuronen, spezielle Nervenzellen, im permanenten Austausch mit unserer Umwelt stehen und mit ihnen jegliche Regung eines Gegenübers verarbeiten. Diese Spiegelung der Gefühle und Handlungen des Gegenübers in uns geschieht unwillkürlich, ohne bewusstes Nachdenken. In dem Moment, wenn uns ein Mensch ein bestimmtes Verhalten entgegenbringt,löst dies unwillkürlich Gefühle und Handlungsimpulse in uns aus. So ergibt im Zusammenspiel der Rollenspieler in der Skulptur ein Impuls den nächsten, wenn alle nacheinander gebeten werden, ihre Wahrnehmungen, also Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen, laut auszusprechen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell eine bestimmte Haltung in einem bestimmten Zusammenspiel von Personen Körperreaktionen hervorruft. Treten bei einem Rollenspieler Magenschmerzen, Herzklopfen, Atembeschwerden oder andere körperliche Symptome auf, stimmen diese in den meisten Fällen mit Belastungen des ursprünglichen Familienmitglieds überein. Das gleiche Phänomen gibt es in Familienaufstellungen.
▶▶ Beispiel: Ein junger Mann stellte eine Familienskulptur, in der es um die Beziehung zu seinen Eltern ging. Nur im Nebensatz erwähnte er, dass sein Vater krank sei. In der Skulptur spürte das Double, das den Vater spielte, wie seine Beine zu zittern begannen und weich wurden. Darauf erzählte der junge Mann, dass sein Vater an multipler Sklerose erkrankt sei.
Der Aufstellende übernimmt in der Skulptur auch seine eigene Haltung, um sie nachzuspüren. So lernt er viele unterschiedliche Standpunkte in seinem Familiensystem kennen: Seinen eigenen, den jedes anderen, und er erlebt sein Familiensystem auch als Außenstehender.
Stellt der erste Aufbau der Skulptur die
Problemsituation
dar, geht es im zweiten Schritt um die
Lösungsfindung.
Hierfür gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen.
Sind im Rahmen einer Familientherapie die realen Familienmitglieder anwesend, suchen sie miteinander eine Lösung. Jedes Familienmitglied wählt für sich einen neuen Platz aus und verändert seine Haltung. Jeder spürt sich in dieser neuen Situation und erzählt, was er oder sie von sich und den anderen wahrnimmt. Über die neue Körperhaltung, den neuen inneren Satz finden die Rollenspieler bzw. Familienmitglieder heraus, was und wie sich etwas verändern soll. Hat der Aufstellende seine Skulptur mit Rollenspielern gebaut, kann er in seineRolle hineinschlüpfen und von dort aus für sich einen neuen Standpunkt suchen. Bei dieser Vorgehensweise wird besonders betont, dass jeder Mensch lediglich sich selbst verändern kann und nicht die anderen Beteiligten. Doch wenn sich einer in einem Familiensystem verändert, wird dies unweigerlich direkte oder indirekte Auswirkungen auf die anderen haben. Und auch dies könnte man in einer Familienskulptur nachspielen: Welchen Impuls bekommen die anderen Personen, wenn der Aufstellende seine Position und Haltung verändert?
Welche Personen gehören in die Skulptur?
In der Skulpturarbeit können unterschiedliche Teams innerhalb der Familie betrachtet werden. Soll die Kommunikation in einer aktuellen Partnerschaft genauer beleuchtet werden, so wird die Paarbeziehung isoliert herausgegriffen. Wie erleben sich die beiden als Mann und Frau? Geht es um Erziehungsfragen, werden die Kinder dazugestellt: Wie sieht die Kommunikation zwischen den Partnern aus, wenn sie als Eltern fungieren? Gibt es weitere einflussreiche Angehörige,
Weitere Kostenlose Bücher