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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Dodd und schob sie ihm erneut zwischen die Zähne. Nach einigem hin und her lavierte Mr. Taglioni die Kugel in eine Ecke seiner Wange, die dadurch wie von einem Stück Kautabak ausgebuchtet wurde.
»Wenn ich Ihnen doch sage, daß ich nicht ausgepeitscht werden will. Ich bin gekommen, um jemanden zu stopfen. Ich hab ihn gestopft. Jetzt ...«
»Vielen Dank, Mr. Dodd«, sagte Mr. Bullstrode, als der Diener den Italiener mit seinem schmierigen Taschentuch den Mund gestopft hatte. »Wenn mich irgend etwas davon überzeugt, daß das Testament eher gemäß dem Geiste als dem Buchstaben des Gesetzes vollstreckt werden soll, dann sein ständiges Gerede von Ausstopfen. Ich finde den Begriff im höchsten Maße anstößig, das muß ich wirklich sagen.«
»Gehe ich eigentlich fehl in der Annahme, daß er auch noch das Geschlecht falsch angegeben hat?« sagte Dr. Magrew. »Ich hätte schwören können, daß er das Wörtchen‹ihn¤benutzte.«
Das hätte Mr. Taglioni ebenfalls geschworen, wenn er gekonnt hätte, doch Mr. Dodds Taschentuch samt der Kugel richteten seine Geschmacksknospen sowie seine Atmung derartig zu, daß er den letzten Rest seines Verstandes nicht mehr den äußeren Umständen widmete. Sein Gesicht war nicht mehr kreidebleich, sondern pflaumenfarben. In einer abgelegenen Ecke des Saals übte Lockhart mit seiner Pferdepeitsche an einer Rüstung, und das Peitschenknallen war im ganzen Raum zu hören. Das Geräusch gemahnte Mr. Bullstrode an sein Berufsethos.
»Ich bin immer noch nicht davon überzeugt, daß wir beginnen sollten, ehe wir nicht festgestellt haben, wieviel ein Zoll an sein Leben exakt ausmacht«, sagte er. »Vielleicht sollten wir Mr. Flawse persönlich zu Rate ziehen, um herauszufinden, was genau er damit meinte.«
»Ich bezweifle, daß sie dem Mann eine vernünftige Antwort entlocken können«, sagte Mr. Dodd, der die ganze Zeit überlegte, welche Kassette diese Frage auch nur annähernd beantwortete. Dr. Magrew ersparte ihm die Mühe. Mr. Taglionis Teint hatte den Übergang von pflaumenfarben zu fast Schwarz vollzogen.
»Es wäre wohl keine schlechte Idee, deinen Vater ein wenig Luft holen zu lassen«, sagte er zu Lockhart; »mein hippokratischer Eid erlaubt mir nicht, bei einem Tod durch Ersticken anwesend zu sein. Ein Tod durch Erhängen wäre schon etwas anderes ...«
Kaum hatte Mr. Dodd Taschentuch und Kugel entfernt, legte sich Mr. Taglioni eine bessere Gesichtsfarbe sowie eine Redseligkeit zu, die bei seinem Publikum vergeudet war. Er stand da und brüllte auf Italienisch. Da sie ihr eigenes Wort nicht mehr verstanden, begaben Dr. Magrew und Mr. Bullstrode sich schließlich angewidert in den Garten.
»Ich finde seine Feigheit verachtenswert«, sagte Mr. Bullstrode, »aber die Italiener haben ja auch im Krieg ganz miserabel gekämpft.«
»Was uns bei der Lösung unseres aktuellen Problems nicht weiterhilft«, bemerkte Dr. Magrew, »und als Mensch, der selbst für so ein Schwein noch ein gewisses Mitgefühl empfindet, würde ich vorschlagen, daß wir uns präzise an das Testament halten und das Ekel bis auf einen Zoll an sein Leben peitschen.«
»Aber ...«, setzte Mr. Bullstrode an. Dr. Magrew ging in den Saal zurück, wo er sich trotz des Lärms mit Mr. Dodd unterhielt. Gleich darauf verließ Mr. Dodd den Saal und kam fünf Minuten später mit Zollstock und Bleistift wieder. Dr. Magrew nahm beide und trat zu Mr. Taglioni. Mit Hilfe des Zollstocks markierte er einen ein Zoll von dessen Schultern entfernten Punkt mit dem Stift, und so brachte er an der ganzen rechten Seite des Italieners Bleistiftmarkierungen auf der verputzten Mauer an, die er mit einem Strich verband, so daß sie einen Umriß ergaben, der den Mann in einem Zoll Entfernung umgab.
»Das ist wohl genau genug«, verkündete er stolz. »Lockhart, mein Junge, du darfst die Mauer bis zu dem Bleistiftstrich peitschen, womit du den Mann bis auf einen Zoll an sein Leben gepeitscht hast. Ich glaube, dies erfüllt die Testamentsbedingungen deines Großvaters buchstabengetreu.«
Doch als Lockhart peitschenschwingend nähertrat, erfüllte Mr. Taglioni den letzten Willen des Alten dem Geiste nach. Er sackte an der Mauer zusammen und gab keinen Ton mehr von sich. Lockhart betrachtete ihn verärgert.
»Warum hat er so eine komische Farbe?« fragte er. Dr. Magrew öffnete seine Tasche und entnahm ihr ein Stethoskop. Eine Minute später schüttelte er den Kopf und erklärte Mr. Taglioni für tot.
»Jetzt ist es passiert«, sagte Mr. Bullstrode.

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