Familienbande
»Was zum Teufel machen wir nun?«
Doch diese Frage blieb vorerst unbeantwortet. Aus dem Haus ertönte eine ganze Serie schrecklicher Schreie. Mrs. Flawse hatte sich befreit und offenbar das volle Ausmaß der Zergliederung ihres verstorbenen Gatten entdeckt. Während das Grüppchen im Saal des Wehrturms stand und, von Mr. Taglioni abgesehen, zuhörte, schlugen die Schreie in irrsinniges Gelächter um.
»Verflucht soll sie sein«, sagte Mr. Dodd und rannte auf die Tür zu, »wie konnte ich so leichtsinnig sein und das Miststück so lange allein lassen.« Er sprintete über den Hof und ins Haus, Lockhart und die zwei alten Freunde seines Großvaters hinterdrein. Als sie das Herrenhaus betraten, sahen sie Mrs. Flawse am obersten Treppenabsatz stehen, während Mr. Dodd unten stand, sich krümmte und seinen Unterleib hielt.
»Schnapp sie dir von hinten«, empfahl er Lockhart, »mich hat sie von vorne erwischt.«
»Die Frau ist wahnsinnig«, befand Dr. Magrew überflüssigerweise, als sich Lockhart zur Hintertreppe begab. Mrs. Flawse plärrte sinngemäß, der Alte sei tot, wolle sich aber nicht hinlegen.
»Seht‘s euch doch selber an«, rief sie und trippelte in ihr Zimmer. Dr. Magrew und Mr. Bullstrode stiegen vorsichtig die Treppe hoch.
»Wenn die Frau, wie Sie sagen, non compas mentis ist«, sagte Mr. Bullstrode, »macht dies das soeben Geschehene um so bedauerlicher. Da sie ihren Verstand aufgegeben hat, hat sie somit jeden Rechtsanspruch auf das Erbe verwirkt, wodurch die Notwendigkeit für die Aussage dieses widerlichen Ausländers obsolet wird.«
»Vom Tod dieses Schweins ganz zu schweigen«, ergänzte Dr. Magrew. »Ich schätze, wir sollten Edwin unsere Aufwartung machen.«
Sie bogen in Richtung Schlafzimmer des alten Mr. Flawse ab, während Mr. Dodd am Fuß der Treppe versuchte, sie davon abzuhalten.
»Er will heute keinen sehen«, rief er, doch sie wußten nicht, wie sehr diese Bemerkung zutraf. Als Lockhart, der sich heimlich die Hintertreppe hinaufgeschlichen hatte, damit seine verrückte Schwiegermutter ihn nicht in den Unterleib treten konnte, schließlich eintraf, war der Flur leer, und Dr. Magrew hatte sein Stethoskop bereits an Mr. Flawses Brust gelegt. Das war keine besonders kluge Aktion, und Mr. Flawses nun folgende Aktionen waren geradezu erschreckend anzuschauen. Entweder durch das Verhalten des Arztes oder dadurch, daß Mr. Bullstrode versehentlich auf die Fernbedienung trat, wurde der Mechanismus zur partiellen Wiederbelebung des Alten ausgelöst. Seine Arme wedelten wild, die Tigeraugen rollten in seinem Kopf, sein Mund öffnete und schloß sich, und die Beine zuckten. Nur der Ton fehlte, der Ton und die Decke, die seine Beine vom Bett getreten hatten, so daß das volle Ausmaß seiner Verkabelung deutlich wurde. Für den Austritt der Kabel hatte Mr. Taglioni nicht die diskreteste Stelle gewählt, und so hingen sie da, einer schrecklichen, elektronischen Harnröhre gleich. Wie Mr. Taglioni bei Gelegenheit gesagt hatte, war dies die letzte Stelle, die sich jemand bei einer Untersuchung ansehen würde. Ganz gewiß war es die letzte Stelle, die sich Dr. Magrew und Mr. Bullstrode ansehen wollten, doch allein das komplizierte Kabelgewirr bewirkte, daß sie ihre Blicke nicht von dem Ding wenden konnten.
»Anschlußkasten und Erde«, erklärte Lockhart und wurde, um ihre Verwirrung komplett zu machen, noch ausführlicher, »samt der Antenne. Der Verstärker liegt unterm Bett, und ich muß nur am Regler drehen ...«
»Nicht, tu sowas um Gottes willen bloß nicht«, flehte Mr. Bullstrode, der nicht zwischen Lautstärkeregler und anderen Reglern unterscheiden konnte und überzeugt war, jeden Moment Augenzeuge einer Erektion zu werden. Auch ohne diese schauderhafte Zugabe waren Mr. Flawses Reaktionen schlimm genug.
»Ich habe ihn auf zehn Watt pro Kanal«, fuhr Lockhart fort, wurde aber von Dr. Magrew unterbrochen. »Ich als Mediziner war noch nie ein Freund von Euthanasie«, stieß er hervor, »aber man kann das Leben eines Menschen auch über das von der Vernunft gebotene Maß hinaus verlängern, und wenn man Schläuche sogar in den ... Du lieber Gott!«
Ohne Mr. Bullstrodes Flehen zu beachten, hatte Lockhart die Lautstärke aufgedreht, so daß der Alte nun nicht mehr nur zuckte und ruckte, sondern auch redete.
»Bei uns war‘s schon immer so«, polterte er, eine Aussage, deren Wahrheitsgehalt Dr. Magrew bestimmt bezweifelte, »Flawsesches Blut rinnt in unseren Adern und transportiert die Mikroben der
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