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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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nicht so leicht überreden.
»Ich bin immer noch der Meinung, Sie handeln äußerst töricht«, sagte er zu Jessica, als sie mit dem Koffer die Bank betrat. »Ihre Mutter, da bin ich mir sicher, hätte sich nie eine solch überstürzte Vorgehensweise zu eigen gemacht. Sie war in Gelddingen immer ungemein vorsichtig und in finanzieller Hinsicht mit allen Wassern gewaschen. Ich weiß noch, wie sie mir 1972 riet, Gold zu kaufen. Ich wünschte heute, ich wäre ihrem Rat gefolgt.«
Und ihr Interesse an Gold ließ nicht nach. Während er von Jessicas Mutter sprach, folgte sie der Spur des Goldes aus dem Herrenhaus und hielt alle paar Meter an, um einen weiteren Goldsovereign aufzuheben. Vor ihr schritt Mr. Dodd zügig aus und ließ in regelmäßigen Abständen ein Goldstück aus der Entschädigungszahlung des verstorbenen Mr. Taglioni fallen. Nach tausend Metern hatte er zweihundert Sovereigns auf den Weg fallenlassen, alle fünf Meter einen. Anschließend hatte er die Entfernung auf zwanzig Meter gestreckt, doch Mrs. Flawse folgte immer noch, blind für alles andere und habgierig vor sich hin murmelnd. An der Zweitausend-Meter-Marke angekommen, hatte Mr. Dodd zweihundertfünfzig Stück fallengelassen, ebensoviele, wie Mrs. Flawse aufgesammelt hatte. Und die glitzernde Goldspur führte die ganze Zeit über an dem von Kiefern gesäumten Stausee vorbei auf die offene Hochebene. Bei dreitausend Metern hatte Mr. Dodd immer noch siebenhundert Sovereigns in seinem Waschlederbeutel. Unter einem Schild mit der Aufschrift »GEFAHR. SCHIESSPLATZ DES VERTEIDIGUNGSMINISTERIUMS. BETRETEN STRENG VERBOTEN« hielt er an und dachte über dessen Bedeutung und das Moralische seiner Vorgehensweise nach. Als er schließlich den über den Schießplatz ziehenden Nebel sah, entschloß er sich, da er ein Ehrenmann war, weiterzumachen. »Was der einen recht ist, ist dem anderen billig«, murmelte er, wandelte die Redensart jedoch so ab, daß was der einen zustieß, für den anderen notwendigerweise mit einem gewissen Risiko verbunden war. Er ließ weitere Münzen fallen, diesmal dichter hintereinander, um die Geschwindigkeit zu erhöhen. Nach viertausend Metern war er bei fünfhundert Sovereigns angelangt, und bei fünftausend Metern enthielt der Waschlederbeutel noch vierhundert Stück. Und je dichter das Geld den Boden bedeckte, desto dichter wurde auch der darüberliegende Nebel. Bei achttausend Metern leerte Mr. Dodd die Reste auf den Boden und verteilte sie im Heidekraut, wo man sie suchen würde. Dann drehte er sich um und gab Fersengeld. Mrs. Flawse war nirgends zu sehen, doch ihr irres Gemurmel drang durch den Nebel. Dies tat auch die erste Granate. Sie explodierte am Hang, und ihre Splitter flogen an Mr. Dodds Kopf vorbei, so daß er sein Tempo verdoppelte. Mrs. Flawse folgte seinem Beispiel nicht. Taub für das Artilleriefeuer, ging sie weiter, hielt an, bückte sich und sammelte den goldenen Schatz, der wie eine lebendig gewordene Sage ihre Aufmerksamkeit derart gefesselt hatte, daß alles andere in den Hintergrund trat. Wenn diese güldene Fährte so weiterging, war sie bald eine reiche Frau. Der Marktwert jedes einzelnen alten Sovereigns betrug sechsundzwanzig Pfund, und Gold stieg immer noch. Sie hatte schon siebenhundert der glitzernden Münzen gesammelt! Mrs. Flawse sah eine herrliche Zukunft voraus. Sie würde das Anwesen verlassen. Sie würde mit dem nächsten neuen Gatten ein Luxusleben führen, diesmal mit einem jungen, den sie schikanieren, nach Belieben einsetzen und zur Befriedigung ihrer sexuellen Bedürfnisse benutzen würde. Mit jedem Halt und jedem Bücken wurden ihre Habgier und Lust von neuem entfacht, und sie ließ ihre rosige Zukunft im Geiste Revue passieren. Bei achttausend Metern dünnte die Spur schließlich aus und hörte auf. Doch überall im Heidekraut glitzerte noch Gold, und sie grapschte nach jedem einzelnen Stück. »Mir darf keins entwischen«, murmelte sie.
Viertausend Meter weiter südlich waren die Richtschützen der Königlichen Artillerie ebenso wild entschlossen, ihr Ziel nicht entwischen zu lassen. Sehen konnten sie es zwar nicht, doch die Entfernung stimmte, und als sie es eingegabelt hatten, bereiteten sie eine Salve vor. Vor ihnen fand Mrs. Flawse die letzte Münze, setzte sich mit ihrer Goldsammlung auf den Boden und fing an zu zählen. »Eins, zwei, drei, vier, fünf ...« Weiter kam sie nicht. Die Königliche Artillerie war ihrem Ruf gerecht geworden, und die aus sechs Rohren abgefeuerte Salve

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