Familienbande
ersparen. Während er in die Tiefen des Kaminfeuers starrte, als wäre es die Hölle selbst, gab sich Mrs. Flawse mit der Erkenntnis zufrieden, daß Lockharts uneheliche Geburt einen weiteren Pfeil auf dem Bogen ihrer ehelichen Macht darstellte. Für dieses Eingeständnis würde der alte Trottel büßen. Mrs. Flawse hatte einen neuen Grund zu grollen gefunden.
»Wenn ich daran denke, daß meine Jessica mit einem unehelichen Mann verheiratet ist, muß ich ehrlich sagen, daß ich dein Benehmen unentschuldbar und unehrenhaft finde, also wirklich«, sagte sie, Mr. Flawses demütige Stimmung ausnutzend. »Hätte ich das gewußt, hätte ich nie und nimmer meine Einwilligung zu der Heirat erteilt.«
Mr. Flawse nickte ergeben. »Du mußt mir verzeihen«, sagte er, »aber Not kennt schließlich kein Gebot, und das fromme Wesen deiner Tochter wird das Lockhart väterlicherseits vererbte Böse mildern.«
»Das hoffe ich inständig«, sagte Mrs. Flawse. »Und da wir gerade beim Vererben sind: Wenn ich mich recht entsinne, erwähntest du, daß du dein Testament ändern willst.« Damit wandten sie sich von der Theorie den praktischen Dingen zu.
»Ich werde meinen Anwalt, Mr. Bullstrode, herbestellen und ihn ein neues Testament aufsetzen lassen. Ihr werdet die Begünstigtste sein, Ma‘am, das versichere ich Euch. Natürlich innerhalb der Grenzen, die mir meine Verpflichtungen gegenüber meinen Angestellten auferlegen, und mit der Maßgabe, daß das Erbe mit Eurem Ableben Lockhart und seinen Nachkommen zufällt.«
Mrs. Flawse lächelte zufrieden. Sie sah eine sorgenfreie Zukunft vor sich. »Und in der Zwischenzeit sorgst du dafür, daß das Herrenhaus modernisiert wird?« fragte sie. Wieder nickte Mr. Flawse.
»Wenn das so ist, werde ich bleiben«, erklärte Mrs. Flawse gnädig. Diesmal zeichnete sich auf Mr. Flawses Gesicht ein kurzes Lächeln ab, das aber sofort wieder erstarb. Es war überflüssig, sich zu verraten. Er würde Unterwürfigkeit heucheln und dadurch Zeit schinden.
Am selben Nachmittag schrieb Mrs. Flawse an Jessica. Es handelte sich weniger um einen Brief als um eine Liste ihrer Habseligkeiten, die mit dem Möbelwagen nach Flawse Hall gebracht werden sollten. Als sie fertig war, gab sie den Brief Mr. Dodd, damit dieser ihn in Black Pockrington aufgab. Doch als sie an diesem Abend zu Bett ging, war der Brief immer noch nicht unterwegs. In der Küche stellte Mr. Flawse einen Wasserkessel auf den Herd, öffnete über dem Dampf den Umschlag und las den Inhalt.
»Du kannst ihn einwerfen«, teilte er Mr. Dodd mit, als er den Umschlag wieder zuklebte. »Die olle Forelle hat den Köder geschluckt. Jetzt muß ich nur noch mit ihr spielen.«
Und das tat er die nächsten Monate. Flawse Hall wurde nicht modernisiert. Die Klempnerfirma sollte immer nächste Woche kommen, was sie jedoch nie tat. Die Elektrizität blieb in der Schwebe, und die Post weigerte sich, das Telefon anzuschließen, außer zu Kosten, die sogar Mrs. Flawse exorbitant hoch fand. Überall gab es Schwierigkeiten. Das Eintreffen ihrer Habseligkeiten verzögerte sich, weil der Möbelwagen die Brücke in der Talsohle nicht bewältigen konnte und die Möbelpacker sich weigerten, Kartons und Kisten einen Kilometer bergauf zu schleppen. Schließlich entluden sie den Lastwagen, verschwanden und überließen es Mrs. Flawse und Mr. Dodd, ein Teil nach dem anderen bergauf zu schaffen, ein langwieriger Prozeß, zusätzlich verlangsamt durch Mr. Dodds vielfältige andere Aufgaben. Der Frühling neigte sich seinem Ende, als der gesamte Tand und Tinneff aus Sandicott Crescent Nummer 12 endlich im Salon verstaut war, wo er vergeblich mit dem antiken Plunder aus Empirezeiten konkurrierte. Das Schlimmste war, daß Mrs. Flawses Rover mit der Bahn geschickt, nach Mr. Dodds Intervention beim Stationsvorsteher, wobei Geld den Besitzer wechselte, über Glasgow nach East Pursley zurückgeschickt und Lockhart und Jessica in unbenutzbarem Zustand und mit einem Schildchen mit der Aufschrift »Empfänger unbekannt« zugestellt wurde. Ohne ihr Auto war Mrs. Flawse verloren. Sie konnte Mr. Dodd im Einspänner bis Black Pockrington begleiten, doch in Pockrington besaß niemand ein Telefon, und weiter zu fahren, weigerte er sich.
Nach drei Monaten Unsicherheit und Unbequemlichkeit ihrerseits sowie Hinhaltetaktik ihres Gatten, was das Testament betraf, hatte sie genug. Mrs. Flawse stellte ihr Ultimatum.
»Entweder hältst du deine Versprechungen, oder ich gehe«, sagte sie. »Aber Ma‘am,
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