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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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verstand, daß dem nicht so sei: »Die läufige Hündin lenkt die Aufmerksamkeit eines Rudels Rüden auf sich, die ihr über Berg und Tal folgen und untereinander um das dem bissigsten und stärksten Rüden gewährte Vorrecht kämpfen, sie prima nocte zu begatten. Daher wird sie zuerst von dem besten Exemplar geschwängert, doch um die Zeugung zu gewährleisten, wird sie anschließend von allen anderen Hunden im Rudel besprungen, bis hinunter zum kleinsten und schwächsten. Daraus resultiert das Überleben der Art, Ma‘am, und des Tüchtigsten. Das stammt von Darwin, Ma‘am, und Darwin hatte recht. Nun bin ich der Meinung, daß auch menschliches Verhalten in erster Linie erblich bedingt ist. Die Flawsesche Nase und das Flawsesche Kinn beweisen, wie physische Eigenheiten, die von unseren Flawseschen Ahnen herrühren, im Laufe der Jahrhunderte weiterverebt wurden, und ich bin der festen Überzeugung, daß wir nicht nur körperliche Eigenheiten von unseren Vorvätern erben, sondern auch geistige. Anders ausgedrückt, der Hund ist Vater des Menschen, und das Temperament eines Hundes wird durch seine Ahnen bestimmt. Aber wie ich sehe, glaubt Ihr mir nicht.«
Er hielt inne und musterte Mrs. Flawse genau; die Zweifel standen ihr ins Gesicht geschrieben. Doch die Zweifel galten der Zurechnungsfähigkeit ihres Ehemannes, nicht dem intellektuellen Gehalt seiner Rede.
»Ihr wendet ein«, fuhr der alte Mann fort, »was Euer gutes Recht ist, wenn die Vererbung das Temperament bestimmt, wie wirkt sich dann die Erziehung auf unser Wesen aus? Das denkt Ihr doch, hab‘ ich recht?«
Wieder nickte Mrs. Flawse unfreiwillig. Ihre eigene Erziehung war von toleranten Eltern und progressiven Lehrern so verwässert worden, daß sie seinem Gedankengang unmöglich folgen konnte. Davon abgesehen, daß er sich offensichtlich zwanghaft intensiv mit dem Liebesleben und den Fortpflanzungsgewohnheiten von Hunden beschäftigte und offen zugegeben hatte, daß in der Familie Flawse ein Hund anscheinend Vater des Menschen gewesen war, hatte sie keine Ahnung, wovon er redete.
»Die Antwort lautet, Ma‘am, und auch hier dient der Hund als unser Bezugspunkt, daß der Hund nicht von Natur aus Haustier war, sondern dies erst durch soziale Symbiose geworden ist. Hund und Mensch, Ma‘am, leben aufgrund gegenseitiger Bedürfnisse zusammen. Wir jagen zusammen, wir essen zusammen, wir wohnen zusammen und wir schlafen zusammen, doch vor allem erziehen wir einander. Durch den ständigen Umgang mit Hunden habe ich mehr gelernt als durch Menschen oder aus Büchern. Eine Ausnahme bildet Carlyle, doch auf ihn komme ich später zu sprechen. Vorher möchte ich sagen, daß ein Hund abgerichtet werden kann. Bis zu einem gewissen Punkt, Ma‘am, nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich weiß genau, daß selbst der beste Schäfer der Welt aus einem Terrier keinen Schäferhund machen kann. Das ist unmöglich. Ein Terrier ist ein Erdhund, wie Eure Lateinkenntnisse Euch verraten werden. Terra œ Erde, Terrier œ Erdhund. Den kann man hüten lassen soviel man will, sein Hang zu graben läßt sich nicht austreiben. Soviel man ihn auch abrichtet, im Grunde seines Herzens wird er ein Wühler von Löchern bleiben. Auch wenn er nicht buddelt, der Instinkt ist da, und genauso ist es beim Menschen, Ma‘am. Nach diesen Ausführungen bleibt mir nur noch die Feststellung, daß ich mir bei Lockhart die größte Mühe gegeben habe, jene Instinkte auszumerzen, die uns Flawses, wie unsere bitteren Erfahrungen zeigen, zu eigen sind.«
»Freut mich zu hören«, murmelte Mrs. Flawse, die aus eigener bitterer Erfahrung die Instinkte kannte, die den Flawses zu eigen waren. Der alte Mann erhob warnend einen Zeigefinger. »Aber, Ma‘am, da ich nichts über die Vorfahren seines Vaters weiß, war ich im Nachteil. Aye, schwer im Nachteil. Die von Lockharts väterlicher Seite herrührenden Laster kenne ich nicht, und da ich sie nicht kenne, kann ich lediglich Vermutungen anstellen. Auch unter Aufbietung größter Phantasie konnte man meine Tochter wohl kaum ein wählerisches Mädchen nennen. Die Umstände ihres Todes beweisen das. Sie starb in einem Graben, Ma‘am, als sie ihren Sohn gebar. Und sie weigerte sich, den Vater zu nennen.«
Mr. Flawse hielt inne, um seine Verbitterung auszukosten und die bohrenden Zweifel zu verdrängen, daß die Starrköpfigkeit seiner Tochter hinsichtlich Lockharts Vater eine letzte Geste töchterlicher Großzügigkeit darstellte, um ihm die Schmach des Inzestes zu

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