Familienbande
Drohung, dem Schürhaken, und ihrem letzten Wort ab. Doch ihre Sandicottsche Seele war immer noch halsstarrig.
»Jawohl«, sagte sie trotzig. Mr. Flawse schleuderte den Schürhaken auf den Rost und ging zur Tür. »Ihr werdet den Tag noch bereuen, an dem Ihr dies sagtet, Ma‘am«, murmelte er böse und ging. Mrs. Flawse ließ sich von ihrem Eigensinn erschöpft aufs Bett sinken, ehe sie sich mit letzter Kraft noch einmal aufrappelte und die Tür verriegelte.
Kapitel 6
Als Mrs. Flawse am nächsten Morgen nach einer unruhigen Nacht nach unten kam, hatte sich der alte Mann in seinem Allerheiligsten vergraben und einen Zettel auf dem Küchentisch hinterlassen, auf dem stand, sie solle sich ihr Frühstück selber machen. Ein großer Topf Haferschleim blubberte zäh auf dem Herd; nachdem sie seinen Inhalt gekostet hatte, begnügte sie sich mit einer Kanne Tee und etwas Brot mit Marmelade. Von Mr. Dodd war nichts zu sehen. Im Hof lümmelten sich die grauen Ergebnisse von Mr. Flawses Eugenikexperimenten in der Wintersonne. Mrs. Flawse ging ihnen aus dem Weg, indem sie die Küchentür benutzte, und machte einen Rundgang durch den Garten. Er war durch eine hohe Mauer vor Wind und Wetter geschützt und nicht ohne Reiz. Irgendein früherer Flawse hatte Gewächshäuser sowie einen Küchengarten angelegt, und Capability Flawse, dessen Porträt auf dem Treppenabsatz hing, hatte in dem Viertelhektar, der nicht für Gemüse bestimmt war, eine südliche Landschaft en miniature entstehen lassen. Verkrüppelte Bäume und mit Sand bestreute Wege wanden sich durch Steingärten, in einem Fischteich sprudelte ein Springbrunnen. In einer Ecke stand ein Häuschen, ein Gartenhäuschen mit Panoramablick, in dessen Beton Feuersteine und Muscheln steckten und dessen winziges gotisches Fenster mit Buntglasscheiben versehen war. Mrs. Flawse stieg die Treppe zur unverschlossenen Tür hinauf, trat ein und entdeckte die ersten Anzeichen von Komfort auf dem Anwesen. Der eichenholzgetäfelte, mit verblichenen samtbezogenen Sitzgelegenheiten möblierte Raum hatte eine prunkvoll geschnitzte Decke und bot eine Aussicht über die Hochebene bis zum Stausee.
Mrs. Flawse nahm Platz und dachte wieder einmal darüber nach, in was für eine eigenartige Familie sie törichterweise eingeheiratet hatte. Daß diese Sippe bis in graue Vorzeit zurückreichte, hatte sie sich schon zusammengereimt, und daß sie Geld besaß, vermutete sie immer noch. Flawse Hall war zwar nicht unbedingt ein reizvolles Gebäude, aber immerhin mit Kostbarkeiten aus längst verlorenen Kolonien angefüllt, geklaut von jenen kühnen jüngeren Söhnen, die Malaria, Skorbut und Gelbfieber nicht gescheut hatten, um ihr Glück zu machen oder in abgelegenen Ecken des Empires verfrüht zu sterben. Mrs. Flawse beneidete und begriff ihren Unternehmungsgeist. Sie waren gen Süden und Osten (und oft genug gen Westen) gereist, um der heimischen Trostlosigkeit und Langeweile zu entkommen. Mrs. Flawse sehnte sich danach, ihrem Beispiel zu folgen. Alles war der unerträglichen Isolation des Flawseschen Anwesens vorzuziehen, und sie dachte gerade darüber nach, wie sie am besten ihre eigene Flucht in die Wege leiten könnte, als sie die hagere Gestalt ihres Gatten aus dem Küchengarten auftauchen und durch die Steingärten und Zwergbäume auf das Gartenhäuschen zukommen sah. Mrs. Flawse wappnete sich für die Konfrontation. Das hätte sie sich sparen können. Der Alte war offenkundig gut gelaunt. Er kam die Stufen hoch und klopfte an die Tür. »Darf ich eintreten?«
»Ich denke schon«, sagte Mrs. Flawse. Mr. Flawse blieb auf der Schwelle stehen. »Wie ich sehe, hast du Perkins Pavillon gefunden«, sagte er. »Eine charmante Konstruktion, 1774 von Perkins Flawse erbaut, dem Dichter der Familie. Hier schrieb er seine berühmte ‹Ode an die Kohle¤, zweifellos von jenem Bergwerksstollen inspiriert, den du dort drüben siehst.« Er deutete durch das Fensterchen auf einen Erdwall auf dem gegenüberliegenden Hügel. Neben dem Wall sah man ein dunkles Loch und ein paar verrostete Maschinenteile. »‹Von der Natur geformt, von der Natur gefällt Doch nicht die Natur hat‘s uns heute erhellt. Sondern des Menschen Wissensdrang, was andres kaum Enthüllt schwarze Reste von so
manchem Baum Und daher mit Wäldern, lang schon tot Kochen wir unsre Eier, backen wir unser Brot.
Erstklassiger Dichter, Ma‘am, leider viel zu wenig gewürdigt«, fuhr der Alte nach Beendigung seiner Rezitation fort, »aber
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