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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Jessica beunruhigt.
»O Lockhart, Liebling«, jammerte sie, »was um alles in der Welt passiert mit uns?«
»Gar nichts«, sagte Lockhart, »es passiert mit den anderen.« In der stockfinsteren Dunkelheit der Küche zitterte Jessica in seinen Armen.
»Den anderen?« wiederholte sie. »Wer sind die anderen?«
»De annern sin die Welt, in die wir nich gehörn«, sagte er, unwillkürlich in den Dialekt seines heimischen Hochlandes
verfallend. »Un auf allen annern ruh der Fluch des Herrn. Un wenn moin Gebet nich wirkt wie geplant, nehm‘ ich de Sache selbst inne Hant.«
»O Lockhart, du bist großartig«, sagte Jessica, »ich wußte ja gar nicht, daß du Gedichte vortragen kannst.«
     

Kapitel 14
     
    Das wußte auch sonst niemand im Sandicott Crescent. Wenn man an eins nicht dachte, dann an Gedichte. Oberst Finch-Potter würde nie wieder an etwas denken, und es war zweifelhaft, ob die Metze jemals wieder die alte sein würde. Das Heim der Pettigrews jedenfalls war unwiederbringlich dahin. Das von dem Bullterrier überfallene Haus befand sich in einem Zustand völliger Verwüstung. Als die Pettigrews kurz nach dem Stromausfall aus dem Einbauschrank unter der Treppe auftauchten, nahmen sie an, nur sie persönlich seien angegriffen worden, und erst als Mr. Pettigrew auf dem Weg zu dem im Wohnzimmer stehenden Telefon über das Loch im Perser stolperte und auf einem zerfetzten Lampenschirm landete, ging ihnen langsam das wahre Ausmaß der Schäden auf. Beim Lichte einer Taschenlampe inspizierten sie die Reste ihrer Einrichtung und weinten.
»Auf dieser Straße lastet ein furchtbarer Fluch«, wimmerte Mrs. Pettigrew, Lockharts Worte wiederholend, »hier bleibe ich keinen Augenblick länger.« Mr. Pettigrews vergeblicher Versuch, eine rationalere Betrachtungsweise durchzusetzen, scheiterte unter anderem an dem aus dem Vogelschutzgebiet dringenden wahnsinnigen Geheul des Bullterriers. Außer einem Zahn hatte dieser glücklicherweise auch seinen Orientierungssinn verloren und es aufgegeben, fünf sich im Himmel seiner Phantasie drehende bunte Monde anzuheulen, nachdem er in dem archetypischen Glauben, es handele sich um Mammutbeine, mehrere große Bäume angeknabbert hatte. Mr. und Mrs. Lowry waren mit dem Versuch ausgelastet, sich gegenseitig an Stellen ihrer Anatomie zu verbinden, die für Verbände am wenigsten zugänglich sind, und überlegten gerade, Oberst Finch-Potter wegen des von seinem Hund angerichteten Schadens zu verklagen, als auch sie in Finsternis gehüllt wurden. Nebenan war Mrs. Simplon überzeugt, ihr Mann habe absichtlich die Lichtsicherungen rausgedreht, um leichter einbrechen zu können und seine Habseligkeiten zu entwenden, und sie machte sich daran, das Gewehr zu laden, das er im Schlafzimmerschrank aufbewahrte, und mit dem sie anschließend aus dem Fenster zwei Warnschüsse abgab. Da sie keine besonders gute Schützin war und ihr zudem die imaginären Monde des Bullterriers fehlten, legte sie mit dem ersten Schuß das Gewächshaus der Ogilvies in Nummer 3 in Scherben und vermehrte mit dem zweiten, nach vorne raus abgegebenen die Sorgen der Pettigrews, indem sie diejenigen Fenster durchlöcherte, die der Bullterrier verschont hatte. Erst da merkte sie ihren Irrtum, und daß die ganze Straße verdunkelt war. Davon keineswegs irritiert, sondern vielmehr vom Geschrei und Gebrüll der Metze ermutigt, die man gerade in den Polizeiwagen zerrte, und überzeugt, die IRA habe erneut zugeschlagen, lud sie nach und feuerte zwei weitere Läufe vage in Richtung von Mr. O‘Brains ehemaligem Haus. Diesmal verfehlte sie das Gebäude, schoß dafür aber geradewegs in das Schlafzimmer der Lowrys, das zufällig zwischen dem Wohnhaus der Simplons und Mr. O‘Brains lag. Vor Oberst Finch-Potters Grundstück ließen die Polizisten schleunigst ihre Last fallen, gingen in Deckung und forderten per Funk bewaffnete Unterstützung an.
Die ließ nicht lange auf sich warten. Sirenen heulten, Streifenwagen fuhren vor, zwölf Mann umstellten unter Feuerschutz Mrs. Simplons pseudogeorgianische Villa und forderten sämtliche Bewohner auf, mit erhobenen Händen ins Freie zu treten. Doch Mrs. Simplon hatte endlich ihren Irrtum erkannt. Die scheinbar aus allen Himmelsrichtungen und in sämtliche Fenster abgefeuerten Salven von Revolverschüssen, die blinkenden Blaulichter, ganz zu schweigen von der Megafonstimme, überzeugten sie davon, daß Flucht in diesem Fall die beste Verteidigung war. Sie kleidete sich in Windeseile an, schnappte

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