Familienkonferenz in der Praxis
dass ich diese Haltung auch in ihnen geweckt hatte.
Wenn es zum Streit zwischen Brent und Felix kam, verlangte meine Schiedsrichterrolle von mir, gerecht zu sein. Mein Verfahren bestand darin, sie auseinanderzubringen, Ruhe zu verlangen, mir ihre Argumente nacheinander anzuhören, ein Urteil zu finden und den Spruch zu fällen. In manchen Situationen konnte ich aber einfach nicht entscheiden, wer unterliegen sollte (wenn ich gerecht sein wollte). Die einzige Möglichkeit, mit dem Problem fertigzuwerden, bestand für mich darin, den Streitgegenstand – sagen wir einen Basketball – fortzunehmen. Das hieß also mit anderen Worten, dass stets entweder eines der Kinder oder beide unterlagen.
Eine Nebenwirkung meiner Methode, den Status quo aufrechtzuerhalten, bestand darin, dass sie um möglichst günstige Urteilssprüche rivalisierten. Ich lehrte sie, sich auf Kosten des anderen in meine Gunst – d. h. in die des Schiedsrichters – einzuschleichen. Schließlich waren sie gar nicht mehr in der Lage, einen Konflikt rational und zusammenhängend zu erörtern, weil sie wussten, dass ich jeden Augenblick eingreifen und dem Problem ein Ende setzen würde. Sie mussten sich nur mit guten Gründen aus der Affäre ziehen können. So sah der Krieg aus.
Als ich das erste Mal in dieser Dreierbeziehung die Technik des aktiven Zuhörens anzuwenden begann, war ich versucht, mir Verpflegung mitzubringen. Es war unglaublich, wie viel Zeit es kostete! Als Neuling in der ›Familienkonferenz‹ wartete ich geduldig auf das Wunder der Harmonie und des Friedens zwischen den Brüdern. Als die Kommunikation
mit einer anderen Person (zwischen mir und wem auch immer) effektiver zu werden begann, ging ich natürlich davon aus, dass diese Techniken auch auf die Interaktion zwischen Brent und Felix übergreifen würden. Das geschah beileibe nicht.
Ich war versucht, daraus den Schluss zu ziehen, dass die ›Familienkonferenz‹-Techniken nur auf die Interaktion zwischen einem Erwachsenen und einem Kind anzuwenden seien. Dann kam das Wunder aber doch. Dieses Wunder wurde aus vielen verschiedenen Gründen möglich. Erstens eignete ich mir ihre Probleme nicht an (eine erlernte Technik). Zweitens lernte ich, wirklich auf das zu hören, was sie mir sagten (eine erlernte Technik). Drittens lernte ich, auf die Anwendung der Techniken zu vertrauen, selbst wenn die Wirkungen sich nicht so rasch einstellten, wie es mir lieb gewesen wäre.
Ich sah, dass meine individuellen Beziehungen zu Brent und Felix immer besser wurden. Das lag daran, dass ich wiederholt meine Fürsorge (und mein Vertrauen in sie) unter Beweis gestellt hatte, und daran, dass mein Toleranzniveau sehr gestiegen war. Dadurch entwickelten sich ähnliche Gefühle bei ihnen. Außerdem war mir bewusst, dass sich ein bestimmtes immer wiederkehrendes Konkurrenzverhalten bei ihnen fest ausgebildet hatte. Ich musste einfach akzeptieren, dass diese Einstellung nicht von heute auf morgen ausgeräumt werden konnte. Aber ich war sicher, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Ich glaubte daran, dass das Modell unserer individuellen Beziehungen am Ende seine Wirkung zeitigen würde. Es würde allerdings viel Geduld von meiner Seite erfordern. Kurzum, mir wurde klar, dass der Versuch zum Scheitern verurteilt war, die ›Familienkonferenz‹-Techniken in die Beziehung zwischen den beiden einzubringen, wenn sie gerade im schönsten Streit begriffen waren. Jeder war dann viel zu sehr damit beschäftigt, in meinen Augen die Nummer eins zu sein. Schließlich war es meine Schuld, dass sie dies für ein realisierbares Ziel hielten. Sie waren nicht in der Lage, ihre Gefühle füreinander in Ich-Botschaften umzusetzen, weil sie meinten, wenn sie aufeinander herumhackten, könnten sie jeder für sich nur gewinnen. Das ging so nach dem Motto: »Wenn
ich auf ihm herumhacke, bevor er auf mir herumhackt, bin ich offensichtlich der Bessere.« Mir wurde wirklich schlecht, als ich das merkte. Dann hatte ich einen Einfall.
Brent und Felix sprachen eigentlich nie über ihre gegenseitigen Gefühle. Ich begann möglichst rückhaltlose Gespräche anzuregen über so unverfängliche Themen wie Lieblingsgerichte, interessante Fernsehsendungen und ähnliche Gegenstände, über die wir ungezwungen sprechen konnten. Wenn einer der Jungen die Meinung des anderen nicht gelten lassen wollte (» Wie kannst du diese Show nur mögen? Sie ist so dämlich?«), verlangte ich, auch gehört zu werden. Ich meinte dann, dass wir es
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