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Familienkonferenz in der Praxis

Familienkonferenz in der Praxis

Titel: Familienkonferenz in der Praxis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gordon
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würde sich schon ganz von allein einstellen. Die Vorstellung, dass wir uns den Respekt und das Vertrauen anderer, also auch unserer Kinder, zuerst einmal verdienen und uns dessen würdig erweisen müssten, war neu für uns.
    Angesichts dieses ganz neuen Konzepts wurden wir uns darüber klar, dass wir die beiden Schlüsselwörter »Einstellung« und »Disziplin« ganz neu definieren mussten. Als verantwortliche und liebevolle Eltern waren und sind wir sehr daran interessiert, dass unsere Jungen Disziplin zeigen. Wir haben aber erkannt, dass die Art und Weise, in der wir ihnen Gehorsam beibringen wollten, ein Klima schuf, das von Furcht, Spannung, Misstrauen und Groll geprägt war. Brent und Felix sind beide sehr eigenwillig aktiv. So wurde es immer schwerer, sie zu kontrollieren. Uns selber nicht bewusst gingen wir fraglos davon aus, dass unsere Kinder sich verantwortungsbewusst verhalten würden. Wir verlangten von ihnen Respekt als Gegenleistung dafür, dass wir sie in die Welt gesetzt hatten. Jetzt haben wir begriffen, dass die neu erworbene Autorität sich für alle Betroffenen viel günstiger auswirkt und dass es letztlich müßig ist, versuchen zu wollen, das Verhalten anderer durch Zwang zu kontrollieren.
    Was ist nun tatsächlich vor sich gegangen? Unser Verhalten hat sich verändert, weil unsere Einstellungen sich verändert haben. Über die Techniken haben wir gelernt, einander zu vertrauen. Ehrlich versuchen wir einander mitzuteilen, wie unsere Gefühle wirklich aussehen,
statt uns gegenseitig etwas vorzumachen. Gehen wir als Eltern ein Risiko ein? Ja, aber das tun Brent und Felix auch. Die Gefahr liegt darin, dass wir uns durch unsere Ehrlichkeit zu weit exponieren. Wir können ebenso gut abgelehnt wie akzeptiert werden. Wir setzen jedoch darauf, dass wir akzeptiert werden. Wir riskieren enge menschliche Bindungen und damit all den Schmerz und all die Freude, die sie mit sich bringen können. Wir haben gelernt, dass dieses Risiko Vertrauen einbringen kann und es auch tut, und das gilt für jede Beziehung.
    Eine Familie verändert sich
    Der Beginn meiner Geschichte liegt vier Jahre zurück. Es war einige Wochen vor Allerheiligen an einem kalten, feuchten Abend, der schon einen Vorgeschmack des Winters vermittelte. Ich war bei einem Treffen der Pfadfindermütter gewesen, und als ich nach Hause kam, fand ich meinen Mann, zwei unserer älteren Söhne, Steve und Mike, und unsere 14-jährige Tochter Lisa am Küchentisch versammelt. Die Spannung war so deutlich, dass man sie fast greifen konnte. Die Jungen machten sich große Sorgen über Lisa, die – wie wir jetzt erfuhren – Drogen nahm, Marihuana, Aufputschmittel und in erster Linie LSD. Auch ihre Freundinnen taten das. Uns war elend zumute, doch bestätigte sich damit nur der wachsende Argwohn, den wir seit etwas mehr als einem Jahr hegten. Lisa war ein attraktives Mädchen mit langem, glänzend braunem Haar und dunkelbraunen Augen. Sie war eine gute Schülerin, spielte mehrere Musikinstrumente und schien bei ihren Freunden immer gut angesehen zu sein. Sie war Schulsprecherin in der Grundschule gewesen. Wenn ein Mädchen mit so vielen Gaben in der Schule Schwierigkeiten bekommt und bei dem leisesten Anflug von Kritik zu Hause in Wut gerät, ist irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung. Wir sagten ihr, wie bekümmert wir seien, und Jim, mein Mann, bestand darauf, dass sie jeden Umgang mit ihren derzeitigen Freunden aufgäbe. Vor Wut kochend erklärte sie, dass sie sich von uns nicht vorschreiben
ließe, welche Freunde sie sich zu wählen habe. Daraufhin verließ sie das Haus und verschwand.
    Am folgenden Tag versuchten wir sie zu finden. Doch ohne Erfolg. Wir hatten angenommen, dass sie wahrscheinlich bei irgendeinem Freund sei. Als wir aber überall vergeblich angerufen hatten, wuchs unsere Angst. Wir wussten einfach nicht, wo sie war und wie es ihr ging. Am zweiten Abend rief sie uns an und bat um die Erlaubnis, in einem Heim für Ausreißer in der Innenstadt zu wohnen. Wir verweigerten unsere Zustimmung und forderten sie auf, nach Hause zu kommen. Sie hängte ein und war abermals verschwunden.
    Einige Tage später rief uns einer ihrer Lehrer an, bei dem sie sich gemeldet hatte. Er schien der Einzige zu sein, dem sie Vertrauen entgegenbrachte. Er hatte veranlasst, dass sie in einem privaten Heim aufgenommen wurde. Sie wäre auch bereit, an einer Familienberatung teilzunehmen, wenn wir mitmachten. Wir waren damit einverstanden, und während der nächsten

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