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Familienkonferenz in der Praxis

Familienkonferenz in der Praxis

Titel: Familienkonferenz in der Praxis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gordon
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Zuhören in Augenblicken anwenden, da sie diese Bereitschaft nicht spüren, zeigen sie damit, dass sie die Grundlagen nicht verstanden haben. Dies ist der Punkt, auf den ich in Kapitel 2 so nachdrücklich hinwies. Ich möchte es hier noch einmal wiederholen: Aktives Zuhören ist nicht geeignet, Verhaltensweisen des Kindes zu verändern, die sich im unteren Teil des Rechtecks – in der Zone nicht akzeptabler Verhaltensweisen – befinden. Sehen wir, ob wir im folgenden Auszug die fehlende Bereitschaft der Mutter entdecken können, die Auffassungen ihrer Tochter Dina zu akzeptieren:

    »Dina ist sehr unzugänglich … Wissen Sie, alles läuft glatt bei ihr. Sie kümmert sich nicht darum – sie ist mit allem zufrieden –, ein sehr unbeschwertes
Mädchen … Wir haben versucht, uns des aktiven Zuhörens ihr gegenüber zu bedienen, aber sie ist unzugänglich … Man kann sie nicht fassen. Ich will damit sagen, dass sie sehr lebhaft ist und lieber hinaus zum Spielen will. Wir haben es versucht. Aber viel ist mit aktivem Zuhören bei ihr nicht auszurichten. Meistens redet sie abends, wenn wir sie ins Bett stecken. Dann kann man bei ihr am Bett sitzen und so lange mit ihr reden, wie man will. Einen Zeitpunkt gibt es allerdings, wie ich festgestellt habe, wo das aktive Zuhören bei ihr fruchtet. Das ist, wenn sie verrückt wird. Sie wird wirklich verrückt … Ich habe die Gewohnheit angenommen zu sagen: ›Du bist wirklich verrückt, Dina.‹ Und sie sagt: ›Ja, ich bin verrückt.‹ Ich glaube, das tut ihr gut. Aber viel weiter geht es dann nicht. Immerhin scheint es ihr jetzt besser zu gehen.«

    An einigen Anhaltspunkten lässt sich hier erkennen, warum die Mutter das Empfinden hat, dass sie bei Dina mit dem aktiven Zuhören nur begrenzten Erfolg hat. Zuerst beschreibt sie Dina mit kaum verborgenem Stolz als ein sehr unbeschwertes Kind, das »mit allem zufrieden ist«.
    Wäre es möglich, dass die Mutter Dina vielleicht nicht so akzeptiert, wie sie ist? »Sie ist ein sehr unzugängliches Kind«, gesteht sie ein. Vielleicht wollen die Eltern das aktive Zuhören Zwecken dienstbar machen, für die es nicht geeignet ist. Vielleicht möchten sie Dina dadurch verändern, sie ernster (weniger verwundbar) machen.
    In diesem Fall scheint mir aktives Zuhören unangemessen verwendet worden zu sein – als Technik, um die Persönlichkeitsmerkmale der Tochter zu modifizieren. Aktives Zuhören soll den Eltern ermöglichen, auf ihre Kinder zu reagieren, wenn diese ihnen von einem Problem berichten. Es hört sich aber so an, als hätte Dina eigentlich überhaupt kein Problem – sie ist »unbeschwert« und »mit allem zufrieden«. Kein Wunder, dass ihre Mutter »mit aktivem Zuhören bei ihr nicht viel ausrichten« kann.
    Es scheint hier so zu sein, dass die Mutter das Problem besitzt (sie scheint mit Dinas Wesensart unzufrieden zu sein oder sich Sorgen über sie zu machen). Erinnern wir uns: Wenn der Elternteil das Problem besitzt, ist es unangebracht und nutzlos, aktives Zuhören zu verwenden.

    Im folgenden Beispiel wendet eine andere Mutter im falschen Moment das aktive Zuhören an. Sie berichtet von einem Vorfall mit ihrem halbwüchsigen Sohn:

    »Unser zweiter Sohn kam Ende April in große Schwierigkeiten … Es hing mit einigen Kameraden zusammen, mit denen er zusammen war. Es wäre leicht gewesen, mit dem Finger auf sie zu zeigen und zu sagen, es sei ihr Fehler gewesen. Schließlich aber waren es seine Kameraden – er hatte sie sich als Freunde ausgesucht … Wir mochten seine Freunde nicht … Eines der Dinge, die wir auf den Tod nicht ausstehen konnten, war die Tatsache, dass er immer mit alten, schäbigen Jeans in die Schule wollte. Wenn er dann fragte, wo seine Jeans seien, sagte ich: ›Es sind wirklich deine Lieblingshosen, nicht wahr?‹ Darauf er: ›Ja, ich trag sie gern.‹ Woraufhin ich sagte: ›Du fühlst dich wohl, wenn du sie trägst.‹ Und er antwortete: ›Ja, ich habe dann das Gefühl, dass ich zur Gang dazugehöre.‹«

    Aus diesem kurzen Beispiel erfahren wir eine Menge. Erstens gibt die Mutter (die auf peinliche Ordnung achtet) zu, dass sie die Freunde ihres Sohnes nicht mag und ihm am liebsten den Umgang mit ihnen verbieten würde. Angesichts dieser Empfindung konnte sie es natürlich »nicht ausstehen«, wenn ihr Sohn »schäbige alte Jeans« trug, die ihm das Gefühl verliehen, er gehöre »zur Gang«. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Familiensituation: Der Junge fragt seine Mutter, wo seine

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