Familienkonferenz in der Praxis
muss den Mathekurs sausen lassen, sonst bekomme ich eine Sechs.‹ Später hieß es dann: ›Ich glaube, ich möchte nicht aufs College. Ich weiß aber, dass Vater und du von mir erwarten, dass ich es besuche. ‹ … Ich glaube, es hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre von zu Hause fortgegangen. Einmal hatte ich große Sorgen, dass es zum Bruch kommen könnte. Sie sagte: ›Ich kann es nicht erwarten, hier herauszukommen. – Ich muss allein leben. Diese Familie macht mich wahnsinnig.‹«
In solch kritischen Situationen sind manche Eltern sehr versucht, in ihre alten Reaktionsweisen zurückzufallen, d. h. Kommunikationssperren zu senden.
»Es fällt mir wirklich schwer, mir anzuhören, welchen Kummer meine Tochter mit ihrem Übergewicht hat. Ich hatte nämlich unter dem gleichen Problem zu leiden. So ist es mir nicht leicht, diesen Gefühlsäußerungen unvoreingenommen zuzuhören … Wenn sie kommt und weint, dreht sich mir der Magen um, da ich dasselbe durchgemacht habe. Ich habe sogar heute noch mit dem Übergewicht zu kämpfen … Erst in den letzten Monaten ist mir bewusst geworden, dass es mir sehr gegen den Strich geht, ihr bei diesem Problem helfen zu müssen … Ich höre aktiv zu, aber das funktioniert nicht richtig. Es wird zu einem Trick – einem mechanischen Verfahren. So sitze ich da, und mir dreht sich der Magen um. Ich möchte ihr sagen: ›Guck mal, ich mag an dir nicht, dass du dich beim Essen nicht in der Gewalt hast.‹ Es fällt mir dann schwer, sie zu akzeptieren … Ich kann es einfach nicht. Es ist mir unmöglich.«
Andere Eltern ringen die Hände und wissen nicht, was sie tun sollen:
»Es gelingt uns einfach nicht, es durchzuhalten. Häufig ist er völlig verstockt, und ich denke dann: ›O mein Gott, was soll ich nur tun?‹ Ich habe das Gefühl, mich im Kreise zu bewegen, und ich weiß nicht, was ich tun soll. So gebe ich das Zuhören dann ganz auf.«
Manche Eltern haben mehr Ausdauer. Sie haben es nun einmal angefangen. Vielleicht gefällt ihnen nicht, was sie hören, aber sie sind entschlossen, es ernsthaft mit dem aktiven Zuhören zu versuchen. Sie geben nicht auf. Vielleicht sind sie im Innersten von der Methode des aktiven Zuhörens überzeugt. Vielleicht widerstrebt es ihnen aber auch nur zutiefst, einmal Angefangenes aufzugeben. Jedenfalls gibt es nicht wenige Eltern, die (gewöhnlich bei ihren ersten Versuchen) feststellen, dass ihre Ausdauer schließlich belohnt wird. Ich vermute, Eltern müssen erst einmal herausfinden, dass aktives Zuhören wirklich funktioniert. Das ist das kritische Stadium des Lernprozesses. Es geht ihnen wie demjenigen, der anfängt Ski zu laufen, und nach vielen Stürzen doch einmal den Hang sicher herunterfährt.
Die Mutter von Lana nahm zweimal an Kursen teil. Sie befürchtete anfangs, Lana würde nie wieder in den Kindergarten gehen. Endlich gelang es ihr dann aber:
»Oh, es ging immer so weiter. Sie sagte, sie habe es satt, Bilder auszuschneiden und aufzukleben. Dafür bekam sie immer ihre Sternchen – fürs Schneiden und Kleben … Sie sagte: ›Mir tun die Finger davon weh.‹ Und dann sagte sie: ›Ich habe keine Lust, immer dazusitzen und Papierarbeiten machen zu müssen‹ … Am folgenden Tag ging sie in den Kindergarten, und es hatte den Anschein, als fühlte sie sich nur deshalb besser, weil sie es hatte aussprechen können. Natürlich war das Problem noch da. Aber sie schien erleichtert zu sein, dass wir ihr gesagt hatten, wir könnten verstehen, dass sie keine Lust habe, in den Kindergarten zu gehen.«
Je häufiger die Eltern ihren Kindern zutrauen, mit ihren Problemen konstruktiv fertigzuwerden und eigene Lösungen zu finden, umso besser wird es ihnen gelingen, das aktive Zuhören durchzuhalten, selbst wenn ihnen nicht gefällt, was sie dabei hören.
Ich glaube nicht, dass wir dieses Vertrauen jedem Elternteil vermitteln können. Viele besaßen es schon, bevor sie mit der ›Familienkonferenz‹ in Berührung kamen; andere entwickelten es, als sie es mit dem aktiven Zuhören versuchten und feststellten, dass es funktioniert. Manche aber halten auch an der Vorstellung fest, dass man Kindern nicht trauen könne. Eine sehr redegewandte, sehr uneinsichtige Mutter von vier Kindern (von denen drei schon halbwüchsig waren) – es handelt sich um die Mutter, deren Sohn »schäbige Jeans« trug – machte in ihrer Aussage aus ihrem mangelnden Vertrauen keinen Hehl:
»Ich will Ihnen ganz offen sagen, dass ich prinzipiell von
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