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Familienpackung

Familienpackung

Titel: Familienpackung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fröhlich
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ein Buch, ziehe die Schuhe aus und lege mich auf mein Bett. Aus dem Lesen wird nichts. Kaum habe ich das Buch aufgeschlagen, wird es im Bett neben mir lebendig. »Hallo«, sagt eine tiefe Stimme und etwas Dunkelhaariges setzt sich auf. »Neu hier?«, fragt sie. »Nein«, will ich sagen, »ich war nur bis eben unsichtbar«, verkneife mir diese Antwort aber und sage stattdessen, »Ja, mein Name ist Andrea Schnidt. Kaiserschnitt, morgen früh.« »Sigrid Klotz, spontane Geburt vorgestern, freue mich.« Die Betten stehen so eng, dass sich keine von uns zum Händeschütteln rausbewegen muss. Sie sieht sympathisch aus. Wildes dunkles Haar mit gigantischen Korkenzieherlocken. So wie die Frau aus der L'Oréal-Werbung. Die mit der abgebrochenen Schere in der Hand. Eigentlich hasse ich diese Art Frauen. Menschen wie ich, die mit feinen Fusseln auf dem Kopf gesegnet sind, können einen
derartigen Haaroverkill nur schwer aushalten. Selbstverständlich weiß ich, dass eine solche Haltung ausgesprochen kindisch ist, aber diese genetische Ungerechtigkeit zu ertragen, ist trotzdem schwer. Sie ist Lehrerin an einer Hauptschule. Klassenlehrerin einer 8 . Klasse. Deutsch und Sport sind ihre Fächer. Wir duzen uns direkt. Sie erzählt mir ihre Geburtsgeschichte. Es ist ihr drittes Kind. »Ich hätte es fast schon im Auto verloren«, lacht sie. »Das ging dermaßen schnell, ich hatte den Kreissaaltrakt kaum betreten, da musste ich schon pressen. Mann, hat die kleine Betty es eilig gehabt. Da waren meine Jungs andere Kaliber. Da hatte ich Stunden zu tun.« Ihre Jungs sind 13 und 15  Jahre alt. Betty ist eine Nachzüglerin. »Die Jungs schämen sich auch ziemlich«, lacht sie, »dass eine Frau in meinem Alter noch Kinder kriegt, finden die echt peinlich. Vor allem weil das bedeutet, dass ihre Mutter ja noch Sex hat.« Sie lacht laut. Mit einer warmen, tiefen Lache. »Willst du meine Tochter mal sehen?«, fragt sie mich. Klar will ich. Ihre Betty liegt im Zwischenzimmer. Zwei Dreibettzimmer teilen sich ein Babyzimmer. Fünf kleine Bettchen stehen darin. Meins fehlt noch. Sigrid schwingt sich aus dem Bett und ich sehe sie erstmals in voller Pracht. Diese Frau besteht wirklich hauptsächlich aus Haaren. Sie ist klein. Viel kleiner, als ich vom Haar und der Lache her dachte. Klein und zierlich. Ein zartes Rehchen mit Riesenmähne. Höchstens 1 , 60  m. Ihre Betty kann Sigrid kaum verleugnen. Das Kind hat Haare wie andere am sechsten Geburtstag. Unglaublich. Zugewachsen wie ein kleines Äffchen. Dunkles, dichtes Haar und Wimpern wie aus der Mascara-Reklame. Ihre Betty ist ein ausgesprochen hübsches Baby. »Schön ist deine Betty«, sage ich andächtig und Sigrid freut sich.
»Ja, mir gefällt sie auch sehr«, antwortet sie ernst und wir beide schauen ergriffen auf das kleine Haarwunder. Sigrid ist eine sehr angenehme Person. Mit etwas weniger Haar wäre sie sogar noch netter. »Wer liegt eigentlich da vorne am Waschbecken?«, unterbreche ich unsere Bettyshow. »Lass dich überraschen«, sagt sie nur und grinst. Was soll das denn heißen? »Ich sage nur so viel«, ergänzt sie, »ich bin froh, dass du jetzt auch hier im Zimmer bist.« Nun ist meine Neugier erst richtig geweckt.
     
    Aber bevor ich weiterbohren kann, geht die Tür auf. Schwester Huberta steht im Zimmer. Diese Frau würde ich auch in dreißig Jahren noch erkennen. Meine Schwester Huberta. Oberlippenbarthuberta. Schon bei Claudias Entbindung hat sie hier auf der Station gearbeitet und ich habe ihren robusten Humor sehr zu schätzen gewusst. Sie sieht unverändert aus. »Schwester Huberta, was für eine wundervolle Überraschung«, begrüße ich sie. »Na, Frau Schnidt, Runde zwei. Ich dachte, Sie wollten nie wieder«, knoddert sie. Die hat ja wirklich ein Eins-a-Gedächtnis. Aber wahrscheinlich braucht sie für diese Bemerkung gar kein dolles Gedächtnis. Wahrscheinlich sagt jede Frau nach der Entbindung: »Das mache ich keinesfalls nochmal.« Auch ich war mir nach Claudias Geburt sehr sicher, dass das meine erste und letzte Geburt gewesen wäre und dass ich dieses Erlebnis niemals vergessen würde. »Verdrängung, Schwester Huberta«, entschuldige ich meine Inkonsequenz. »Außerdem kommt es diesmal durch eine andere Öffnung. Untenrum ist gesperrt«, versuche ich einen kleinen Scherz. »Wir sprechen uns nach dem Kaiserschnitt nochmal«, sagt sie mit bedeutungsvollem Blick. Ein Blick, der einem ein ganz bisschen
Angst machen kann. »Und jetzt nehme ich Sie mit, Oberarzt

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