Familienpackung
bitte im Detail hören. Ach du je, da habe ich so gar keine Lust drauf. »Schatz, ich habe einen riesen Durst«, starte ich ein kleines Ablenkungsmanöver. Er holt uns brav ein Pils, wir trinken aus der Flasche, und als ich gerade denke, »Hurra, er hat es vergessen«, bohrt er nach. »Andrea, jetzt erzähl endlich, bitte, bitte.« Wenn ein Mann schon mal ›bitte‹ sagt, dann will er wirklich was. Ich werde nicht drum herumkommen, außer ich falle sofort in ein akutes Wachkoma. Ich überlege, ob ich RTL in den Schilderungen einfach weglasse. Man muss ja nicht immer so ganz genau sein. Weglassen ist auch nicht gelogen. Außerdem wäre es schade, diese nette Stimmung kaputtzumachen. Sehr schade. Allerdings, wenn ich RTL auslasse und es steckt ihm einer, dass ich diesen unsäglichen, unfreiwilligen Fernsehauftritt hatte, dann ist es noch
blöder, wenn er von nichts weiß, rotiert es in meinem Kopf. »Komm Andrea«, quengelt er, »Butter bei die Fische.«
Ich erzähle alles. Lückenlos. Schließlich ist das hier mein Mann, der, den ich liebe, und nicht der Jugendrichter. Wenn ich anfange, meinen eigenen Mann zu fürchten, dann ist das Ende wohl nicht mehr weit. Er ist, wie man in England sagt, not very amused. »Schwarzfahren kann ja mal sein, aber wie bescheuert bist du denn, dich noch dabei filmen zu lassen?«, fragt er mich einigermaßen fassungslos. Ehe ich größere Rechtfertigungsarien starten kann, legt er erst richtig los. »Wenn das jemand aus der Kanzlei gesehen hat, meine Güte, wie peinlich. Das kann mich Meilen zurückwerfen.« Ich habe es geahnt. Kleinlicher Kerl. Gleich sagt er sicher noch: »Was sollen die Leute denken?« Natürlich war ich bescheuert, aber das ist mir auch ohne seine Vorwürfe klar gewesen. Dass Christoph an nichts anderes als diese bekloppte Kanzlei denken kann. »Ich bin erwachsen«, sage ich, mittlerweile ziemlich aufgebracht, »du musst nicht für mich haften. Das sollte dir als Anwalt eigentlich klar sein.« Er guckt ziemlich sauer. »So, erwachsen«, antwortet er, »warum merkt man denn davon nix?« Dann, noch bevor ich ausholen kann, verbal natürlich, springt er aus dem Bett und sagt: »Ich muss jetzt erst mal was essen. Schon, um das hier zu verdauen. Was freue ich mich morgen auf die Kanzlei. Das wird ja ein schönes Spießrutenlaufen.« Noch bevor ich ihn daran erinnern kann, dass nicht er, sondern ich schwarzgefahren bin, ist er auch schon raus aus dem Schlafzimmer. Ich brülle hinterher: »Soll ich dir eine Kleinigkeit zu essen machen?« Eine Frage, die ich, angesichts seines piefigen Verhaltens, ziemlich nett finde. »Nein«, schreit er, »du hast ja heute schon genug getan.«
Jetzt ist der auch noch beleidigt. Dabei war mein Angebot eine klare Versöhnungsgeste. Bitte – dann eben nicht. Hinterherrennen werde ich ihm nicht. Ich kuschle mich ein und ignoriere sein lautstarkes Geklapper in der Küche.
Ich träume von RTL und S-Bahnen. Ich bin auf riesigen Plakatwänden zu sehen. An jeder Haltestelle und in der ganzen Stadt. Mit dem bunten Mantel, einem Balken über den Augen unter einer riesigen Überschrift: »So sehen Schwarzfahrer heute aus.«
Tag 3
»Guten Morgen, Andrea«, sagt eine Stimme neben mir. Christoph. Er ist schon auf und schaut streng, jedenfalls soweit ich das ohne Brille sehen kann. »Guten Morgen, is was?«, versuche ich, die Ursache für seine offensichtlich bescheidene Laune zu ergründen. »Ich habe gestern Abend noch mein Handy abgehört«, sagt er nur. »Und«, sage ich, »gab’s was Besonderes? Hast du zu wenig Akten mit heim genommen oder kommt deine Mutter am Wochenende?« »Witzig, sehr witzig«, antwortet er, »weder noch. Ich hatte fünf Anrufe von Leuten auf meiner Mailbox, die deinen Fernsehauftritt gesehen haben. Eine davon war meine Mutter, völlig aus dem Häuschen. Und meine Sekretärin, die übrigens unser Wohnzimmer sehr hübsch findet und fragt, woher wir unsere Couch haben. Andrea, wie soll ich heute in die Kanzlei gehen, was soll ich denen denn sagen?«
»Dass die Couch von Ikea ist und Ektorp heißt«, sage ich so ernst wie möglich. »Ha, ha«, grummelt er und erinnert mich dann daran, dass zwei Etagen tiefer Kinder auf ihr Frühstück warten. »Deine Kinder haben Hunger«, sagt er nur. Meine Kinder. Meine Kinder sind dreckig, haben Hunger oder in die Hose gemacht, husten die ganze Nacht und schreien. Seine Kinder sind frisch gebadet, haben tolle Laune und sind friedlich wie Lämmer. Ich erspare mir den leidigen
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